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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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die Thränen zusehens herabträufelten; drun-
ter giengen Vergiß mein nicht auf.

Zwey Söhne hatten Grabschaufeln in der
Rechten, standen an einem aufgemachten Bette,
wie der Graf es nannte, an einem fertigen
Grabe, und besahen die Erde und sich, als
wenn man sein Portrait und sich collationirt,
um beyzuzeichnen: concordare cum suo origi-
nali testor.
Man sahe, daß sie sich sagten:
Staub von unserm Staub! Zwey Gräfinnen,
unschuldig wie Engel, bis auf die verfluchten
Wapen. Wozu doch die Wapen? Zwey
Gräfinnen, würkliche Engel, goßen jedes eine
Schaale auf die aufgeworfene zur Saat Got-
tes vorbereitete Erde.

Meine Mutter hätte das Taufwasser nicht
feierlicher ausgiessen können, als diese Engel
die Schaalen.

Die beyden Bräute, mit herabhängenden
halbverwelkten Kränzen, Hand in Hand. Der
eine Bräutigam den rechten Arm in der linken
Hand -- so aufgestützt sieht er starr auf ei-
nen Fleck im bloßen Kopf, wie der Graf sagte,
das ist, auf nackte Erde. Wohin der Blick
nur reichen kann, ist die Stelle kahl, ohne
grün und gelb. -- Der andre neigte sich sanft
zur Erde, die er küßt. Die Bewegung jenes

Rö-

die Thraͤnen zuſehens herabtraͤufelten; drun-
ter giengen Vergiß mein nicht auf.

Zwey Soͤhne hatten Grabſchaufeln in der
Rechten, ſtanden an einem aufgemachten Bette,
wie der Graf es nannte, an einem fertigen
Grabe, und beſahen die Erde und ſich, als
wenn man ſein Portrait und ſich collationirt,
um beyzuzeichnen: concordare cum ſuo origi-
nali teſtor.
Man ſahe, daß ſie ſich ſagten:
Staub von unſerm Staub! Zwey Graͤfinnen,
unſchuldig wie Engel, bis auf die verfluchten
Wapen. Wozu doch die Wapen? Zwey
Graͤfinnen, wuͤrkliche Engel, goßen jedes eine
Schaale auf die aufgeworfene zur Saat Got-
tes vorbereitete Erde.

Meine Mutter haͤtte das Taufwaſſer nicht
feierlicher ausgieſſen koͤnnen, als dieſe Engel
die Schaalen.

Die beyden Braͤute, mit herabhaͤngenden
halbverwelkten Kraͤnzen, Hand in Hand. Der
eine Braͤutigam den rechten Arm in der linken
Hand — ſo aufgeſtuͤtzt ſieht er ſtarr auf ei-
nen Fleck im bloßen Kopf, wie der Graf ſagte,
das iſt, auf nackte Erde. Wohin der Blick
nur reichen kann, iſt die Stelle kahl, ohne
gruͤn und gelb. — Der andre neigte ſich ſanft
zur Erde, die er kuͤßt. Die Bewegung jenes

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[70/0076] die Thraͤnen zuſehens herabtraͤufelten; drun- ter giengen Vergiß mein nicht auf. Zwey Soͤhne hatten Grabſchaufeln in der Rechten, ſtanden an einem aufgemachten Bette, wie der Graf es nannte, an einem fertigen Grabe, und beſahen die Erde und ſich, als wenn man ſein Portrait und ſich collationirt, um beyzuzeichnen: concordare cum ſuo origi- nali teſtor. Man ſahe, daß ſie ſich ſagten: Staub von unſerm Staub! Zwey Graͤfinnen, unſchuldig wie Engel, bis auf die verfluchten Wapen. Wozu doch die Wapen? Zwey Graͤfinnen, wuͤrkliche Engel, goßen jedes eine Schaale auf die aufgeworfene zur Saat Got- tes vorbereitete Erde. Meine Mutter haͤtte das Taufwaſſer nicht feierlicher ausgieſſen koͤnnen, als dieſe Engel die Schaalen. Die beyden Braͤute, mit herabhaͤngenden halbverwelkten Kraͤnzen, Hand in Hand. Der eine Braͤutigam den rechten Arm in der linken Hand — ſo aufgeſtuͤtzt ſieht er ſtarr auf ei- nen Fleck im bloßen Kopf, wie der Graf ſagte, das iſt, auf nackte Erde. Wohin der Blick nur reichen kann, iſt die Stelle kahl, ohne gruͤn und gelb. — Der andre neigte ſich ſanft zur Erde, die er kuͤßt. Die Bewegung jenes Roͤ-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/76>, abgerufen am 27.11.2024.