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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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dünkt sich, ohne die Seinen, verwayset in
der weiten Welt, und ist man es nicht an
diesem unempfindlichen großen Ort? Was
wäre das Leben, wenn man nicht noch den
Zirkel der Seinen hätte, wo man noch das
süße Echo seines Schmerzens seiner Freunde
hört, und eine Theilnehmung sieht, Liebe und
Gegenliebe empfindet. -- Wer sich auf ei-
nem andern Wege, als am ofnen Grabe, das
Lebenslicht ausbläßt, bedenket nicht, von
wannen er kommt und wohin er fähret. So
ehrbar es Manchem läßt; er ist doch mit sei-
nem Kopf über Bord. Ey, wenn es der
Mensch in einem entsetzlichen übermenschlichen
Schmerz thäte? Giebts übermenschlichen?
Exempel zwar, daß Menschen sich des Schmer-
zens halber umgebracht, obs aber übermensch-
licher Schmerz war, bleibt Frage. So viel
ist auffallend, daß der Leib, der, wenn er todt
ist, da liegt, wie ein Stück abgehauenes Holz,
unmöglich dem Schmerz ausgesetzet seyn kön-
ne, den er im Leben empfand, und wenn also
ein Leidender seine Seele Gott befiehlet und
seinem ihn plagenden Leibe einen Streich spielt,
oder dem armen Schelm eine Wohlthat erwei-
set; so ließe sich darüber reden, mehr aber
auch schwerlich: denn ein solcher Selbstmör-

der
E

duͤnkt ſich, ohne die Seinen, verwayſet in
der weiten Welt, und iſt man es nicht an
dieſem unempfindlichen großen Ort? Was
waͤre das Leben, wenn man nicht noch den
Zirkel der Seinen haͤtte, wo man noch das
ſuͤße Echo ſeines Schmerzens ſeiner Freunde
hoͤrt, und eine Theilnehmung ſieht, Liebe und
Gegenliebe empfindet. — Wer ſich auf ei-
nem andern Wege, als am ofnen Grabe, das
Lebenslicht ausblaͤßt, bedenket nicht, von
wannen er kommt und wohin er faͤhret. So
ehrbar es Manchem laͤßt; er iſt doch mit ſei-
nem Kopf uͤber Bord. Ey, wenn es der
Menſch in einem entſetzlichen uͤbermenſchlichen
Schmerz thaͤte? Giebts uͤbermenſchlichen?
Exempel zwar, daß Menſchen ſich des Schmer-
zens halber umgebracht, obs aber uͤbermenſch-
licher Schmerz war, bleibt Frage. So viel
iſt auffallend, daß der Leib, der, wenn er todt
iſt, da liegt, wie ein Stuͤck abgehauenes Holz,
unmoͤglich dem Schmerz ausgeſetzet ſeyn koͤn-
ne, den er im Leben empfand, und wenn alſo
ein Leidender ſeine Seele Gott befiehlet und
ſeinem ihn plagenden Leibe einen Streich ſpielt,
oder dem armen Schelm eine Wohlthat erwei-
ſet; ſo ließe ſich daruͤber reden, mehr aber
auch ſchwerlich: denn ein ſolcher Selbſtmoͤr-

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[65/0071] duͤnkt ſich, ohne die Seinen, verwayſet in der weiten Welt, und iſt man es nicht an dieſem unempfindlichen großen Ort? Was waͤre das Leben, wenn man nicht noch den Zirkel der Seinen haͤtte, wo man noch das ſuͤße Echo ſeines Schmerzens ſeiner Freunde hoͤrt, und eine Theilnehmung ſieht, Liebe und Gegenliebe empfindet. — Wer ſich auf ei- nem andern Wege, als am ofnen Grabe, das Lebenslicht ausblaͤßt, bedenket nicht, von wannen er kommt und wohin er faͤhret. So ehrbar es Manchem laͤßt; er iſt doch mit ſei- nem Kopf uͤber Bord. Ey, wenn es der Menſch in einem entſetzlichen uͤbermenſchlichen Schmerz thaͤte? Giebts uͤbermenſchlichen? Exempel zwar, daß Menſchen ſich des Schmer- zens halber umgebracht, obs aber uͤbermenſch- licher Schmerz war, bleibt Frage. So viel iſt auffallend, daß der Leib, der, wenn er todt iſt, da liegt, wie ein Stuͤck abgehauenes Holz, unmoͤglich dem Schmerz ausgeſetzet ſeyn koͤn- ne, den er im Leben empfand, und wenn alſo ein Leidender ſeine Seele Gott befiehlet und ſeinem ihn plagenden Leibe einen Streich ſpielt, oder dem armen Schelm eine Wohlthat erwei- ſet; ſo ließe ſich daruͤber reden, mehr aber auch ſchwerlich: denn ein ſolcher Selbſtmoͤr- der E

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/71>, abgerufen am 23.11.2024.