Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

muß nur alles nehmen, wie es von Gott und
Rechts wegen zu nehmen ist. Der Buchstab'
ist todt; allein der Sinn ist lebendig. Ich
blieb bey Würden und Ehren, und das Ey
war vertilgt, bis auf den letzten Buchstab,
welches um so leichter geschehen konnte, da
es nur aus zweenen bestehet. Sonst versteht
jeder, was Glaube, Liebe, Hofnung sey, oder
eigentlicher, wie sie gemahlt werden; indessen
hatte der Graf seinen eigenen Glauben, seine
eigene Liebe, seine eigene Hofnung.

Der Glaube war ein Mädchen, das mit
der rechten Hand gen Himmel mit einem Cru-
cifix den Weg wies, in der linken Hand einen
Kelch hatte, woraus es trank, mit dem einen
Auge lies es die Bitterkeit des Tranks merken,
mit dem andern aber Himmel an, als säh' es
den himmlischen Vater -- auf dem Haupt'
eine Krone mit Lorbeeren durchflochten. Es
lag auf den Knien, das gute Kind. Oben
standen die Worte: ich glaube, Herr! hilf
meinem Unglauben! Glaube war groß ge-
schrieben, und es war auch nöthig, denn wer
hätte sonst wohl wissen können, daß dies
der Glaube sey? Es thut mir ordentlich
leid, daß ich vergessen habe, mit welchem
Auge der Glaube gen Himmel, und mit wel-

chem

muß nur alles nehmen, wie es von Gott und
Rechts wegen zu nehmen iſt. Der Buchſtab’
iſt todt; allein der Sinn iſt lebendig. Ich
blieb bey Wuͤrden und Ehren, und das Ey
war vertilgt, bis auf den letzten Buchſtab,
welches um ſo leichter geſchehen konnte, da
es nur aus zweenen beſtehet. Sonſt verſteht
jeder, was Glaube, Liebe, Hofnung ſey, oder
eigentlicher, wie ſie gemahlt werden; indeſſen
hatte der Graf ſeinen eigenen Glauben, ſeine
eigene Liebe, ſeine eigene Hofnung.

Der Glaube war ein Maͤdchen, das mit
der rechten Hand gen Himmel mit einem Cru-
cifix den Weg wies, in der linken Hand einen
Kelch hatte, woraus es trank, mit dem einen
Auge lies es die Bitterkeit des Tranks merken,
mit dem andern aber Himmel an, als ſaͤh’ es
den himmliſchen Vater — auf dem Haupt’
eine Krone mit Lorbeeren durchflochten. Es
lag auf den Knien, das gute Kind. Oben
ſtanden die Worte: ich glaube, Herr! hilf
meinem Unglauben! Glaube war groß ge-
ſchrieben, und es war auch noͤthig, denn wer
haͤtte ſonſt wohl wiſſen koͤnnen, daß dies
der Glaube ſey? Es thut mir ordentlich
leid, daß ich vergeſſen habe, mit welchem
Auge der Glaube gen Himmel, und mit wel-

chem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0064" n="58"/>
muß nur alles nehmen, wie es von Gott und<lb/>
Rechts wegen zu nehmen i&#x017F;t. Der Buch&#x017F;tab&#x2019;<lb/>
i&#x017F;t todt; allein der Sinn i&#x017F;t lebendig. Ich<lb/>
blieb bey Wu&#x0364;rden und Ehren, und das <hi rendition="#fr">Ey</hi><lb/>
war vertilgt, bis auf den letzten Buch&#x017F;tab,<lb/>
welches um &#x017F;o leichter ge&#x017F;chehen konnte, da<lb/>
es nur aus zweenen be&#x017F;tehet. Son&#x017F;t ver&#x017F;teht<lb/>
jeder, was Glaube, Liebe, Hofnung &#x017F;ey, oder<lb/>
eigentlicher, wie &#x017F;ie gemahlt werden; inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hatte der Graf &#x017F;einen eigenen Glauben, &#x017F;eine<lb/>
eigene Liebe, &#x017F;eine eigene Hofnung.</p><lb/>
        <p>Der Glaube war ein Ma&#x0364;dchen, das mit<lb/>
der rechten Hand gen Himmel mit einem Cru-<lb/>
cifix den Weg wies, in der linken Hand einen<lb/>
Kelch hatte, woraus es trank, mit dem einen<lb/>
Auge lies es die Bitterkeit des Tranks merken,<lb/>
mit dem andern aber Himmel an, als &#x017F;a&#x0364;h&#x2019; es<lb/>
den himmli&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Vater</hi> &#x2014; auf dem Haupt&#x2019;<lb/>
eine Krone mit Lorbeeren durchflochten. Es<lb/>
lag auf den Knien, das gute Kind. Oben<lb/>
&#x017F;tanden die Worte: ich glaube, Herr! hilf<lb/>
meinem Unglauben! <hi rendition="#fr">Glaube</hi> war groß ge-<lb/>
&#x017F;chrieben, und es war auch no&#x0364;thig, denn wer<lb/>
ha&#x0364;tte &#x017F;on&#x017F;t wohl wi&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen, daß dies<lb/>
der Glaube &#x017F;ey? Es thut mir ordentlich<lb/>
leid, daß ich verge&#x017F;&#x017F;en habe, mit welchem<lb/>
Auge der Glaube gen Himmel, und mit wel-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chem</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0064] muß nur alles nehmen, wie es von Gott und Rechts wegen zu nehmen iſt. Der Buchſtab’ iſt todt; allein der Sinn iſt lebendig. Ich blieb bey Wuͤrden und Ehren, und das Ey war vertilgt, bis auf den letzten Buchſtab, welches um ſo leichter geſchehen konnte, da es nur aus zweenen beſtehet. Sonſt verſteht jeder, was Glaube, Liebe, Hofnung ſey, oder eigentlicher, wie ſie gemahlt werden; indeſſen hatte der Graf ſeinen eigenen Glauben, ſeine eigene Liebe, ſeine eigene Hofnung. Der Glaube war ein Maͤdchen, das mit der rechten Hand gen Himmel mit einem Cru- cifix den Weg wies, in der linken Hand einen Kelch hatte, woraus es trank, mit dem einen Auge lies es die Bitterkeit des Tranks merken, mit dem andern aber Himmel an, als ſaͤh’ es den himmliſchen Vater — auf dem Haupt’ eine Krone mit Lorbeeren durchflochten. Es lag auf den Knien, das gute Kind. Oben ſtanden die Worte: ich glaube, Herr! hilf meinem Unglauben! Glaube war groß ge- ſchrieben, und es war auch noͤthig, denn wer haͤtte ſonſt wohl wiſſen koͤnnen, daß dies der Glaube ſey? Es thut mir ordentlich leid, daß ich vergeſſen habe, mit welchem Auge der Glaube gen Himmel, und mit wel- chem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/64
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/64>, abgerufen am 23.11.2024.