kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten, oder brennen mußten; denn hier war es ewig Nacht. Die Aerme schienen (so besonders waren sie) schnell herauszuwachsen, um den Wanderern auf dem finstern Wege zu leuch- ten! -- Auf einer Seite waren sechs Lichter, auf der andern fünfe. Warum das? Dafür konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei- lung der Spruchstelle:
Dein Wort ist meiner Füße Leuchte, sechs, und die andre: ein Licht auf meinem Wege, ganz richtig berechnet, fünf und nicht weniger Wörter hatte. Ueber jedem Lichte stand ein Wort, schön wie eine Dedication. Würd' er dem Worte und auch einen Arm verehret haben; so wären beyde Seiten gleich gewesen. Das arme Wörtlein Und, ich hätt' es nicht verstoßen, wenn ich der Graf gewesen wäre. Es ist gemeinhin ein menschliches, liebes, gut- herziges Wort, und ist seinen Arm werth. Der Graf aber sprach ihm die Göttlichkeit ab; wenn Gott spricht, ists ohne und. In der Capelle selbst hieng ein Crucifix, und der Schächer, den Christus ins Paradies mit- nahm. Der sterbende Simeon, mit einer Friedensmiene im Gesicht, die entgegen rief:
Herr,
kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten, oder brennen mußten; denn hier war es ewig Nacht. Die Aerme ſchienen (ſo beſonders waren ſie) ſchnell herauszuwachſen, um den Wanderern auf dem finſtern Wege zu leuch- ten! — Auf einer Seite waren ſechs Lichter, auf der andern fuͤnfe. Warum das? Dafuͤr konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei- lung der Spruchſtelle:
Dein Wort iſt meiner Fuͤße Leuchte, ſechs, und die andre: ein Licht auf meinem Wege, ganz richtig berechnet, fuͤnf und nicht weniger Woͤrter hatte. Ueber jedem Lichte ſtand ein Wort, ſchoͤn wie eine Dedication. Wuͤrd’ er dem Worte und auch einen Arm verehret haben; ſo waͤren beyde Seiten gleich geweſen. Das arme Woͤrtlein Und, ich haͤtt’ es nicht verſtoßen, wenn ich der Graf geweſen waͤre. Es iſt gemeinhin ein menſchliches, liebes, gut- herziges Wort, und iſt ſeinen Arm werth. Der Graf aber ſprach ihm die Goͤttlichkeit ab; wenn Gott ſpricht, iſts ohne und. In der Capelle ſelbſt hieng ein Crucifix, und der Schaͤcher, den Chriſtus ins Paradies mit- nahm. Der ſterbende Simeon, mit einer Friedensmiene im Geſicht, die entgegen rief:
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kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich
es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten,
oder brennen mußten; denn hier war es ewig
Nacht. Die Aerme ſchienen (ſo beſonders
waren ſie) ſchnell herauszuwachſen, um den
Wanderern auf dem finſtern Wege zu leuch-
ten! — Auf einer Seite waren ſechs Lichter,
auf der andern fuͤnfe. Warum das? Dafuͤr
konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei-
lung der Spruchſtelle:
Dein Wort iſt meiner Fuͤße Leuchte, ſechs,
und die andre: ein Licht auf meinem Wege,
ganz richtig berechnet, fuͤnf und nicht weniger
Woͤrter hatte. Ueber jedem Lichte ſtand ein
Wort, ſchoͤn wie eine Dedication. Wuͤrd’
er dem Worte und auch einen Arm verehret
haben; ſo waͤren beyde Seiten gleich geweſen.
Das arme Woͤrtlein Und, ich haͤtt’ es nicht
verſtoßen, wenn ich der Graf geweſen waͤre.
Es iſt gemeinhin ein menſchliches, liebes, gut-
herziges Wort, und iſt ſeinen Arm werth.
Der Graf aber ſprach ihm die Goͤttlichkeit
ab; wenn Gott ſpricht, iſts ohne und. In
der Capelle ſelbſt hieng ein Crucifix, und der
Schaͤcher, den Chriſtus ins Paradies mit-
nahm. Der ſterbende Simeon, mit einer
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/62>, abgerufen am 27.11.2024.
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