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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Diese beyden Reihen hört' ich einst von
einer Bettlerin singen, und dieser Gesang ist
mir in der Erinnerung noch so rührend, daß
ich keine Zeile mehr, weder abschreiben noch
singen kann.

Wie hast denn du geschlafen? -- wenn
man auch nicht gut wacht, wenn man nur gut
schläft, so findet sich auch das Wachen.

Der Candidat erzählte jüngst ein Vorfäll-
chen, das kürzer, als seine Manschetten, al-
lein recht artig ist. Ein Bauer kommt nach
Mitau, um den Brief an seinen Sohn ja
recht gut anzubringen. Er giebt ihn ab, und
wartet bis der Postillion bläset, und nun bit-
tet er ihn recht freundlich, doch ja den Brief
gut zu bestellen. Lieber Sohn! Wir Men-
schen, denk' ich, machen es eben so, und auch
du bist, mit deiner Erlaubnis, nichts mehr,
nichts weniger, als dieser Bauer mit dem
Briefe. Wir alle bitten den Postillion, den
Brief, den er zwey Meilen trägt, gut zu be-
stellen. Wer erreicht seine Schicksale, nur
über eine Hand voll Jahre, das sind fünf
nach der Zahl der Finger? Wer bis an Stell
und Ort? Auch in Absicht deiner Mine bist
du nach Mitau gereiset, und hast so lang ge-
wartet, bis geblasen ward, und hast recht

freund-

Dieſe beyden Reihen hoͤrt’ ich einſt von
einer Bettlerin ſingen, und dieſer Geſang iſt
mir in der Erinnerung noch ſo ruͤhrend, daß
ich keine Zeile mehr, weder abſchreiben noch
ſingen kann.

Wie haſt denn du geſchlafen? — wenn
man auch nicht gut wacht, wenn man nur gut
ſchlaͤft, ſo findet ſich auch das Wachen.

Der Candidat erzaͤhlte juͤngſt ein Vorfaͤll-
chen, das kuͤrzer, als ſeine Manſchetten, al-
lein recht artig iſt. Ein Bauer kommt nach
Mitau, um den Brief an ſeinen Sohn ja
recht gut anzubringen. Er giebt ihn ab, und
wartet bis der Poſtillion blaͤſet, und nun bit-
tet er ihn recht freundlich, doch ja den Brief
gut zu beſtellen. Lieber Sohn! Wir Men-
ſchen, denk’ ich, machen es eben ſo, und auch
du biſt, mit deiner Erlaubnis, nichts mehr,
nichts weniger, als dieſer Bauer mit dem
Briefe. Wir alle bitten den Poſtillion, den
Brief, den er zwey Meilen traͤgt, gut zu be-
ſtellen. Wer erreicht ſeine Schickſale, nur
uͤber eine Hand voll Jahre, das ſind fuͤnf
nach der Zahl der Finger? Wer bis an Stell
und Ort? Auch in Abſicht deiner Mine biſt
du nach Mitau gereiſet, und haſt ſo lang ge-
wartet, bis geblaſen ward, und haſt recht

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[395/0403] Dieſe beyden Reihen hoͤrt’ ich einſt von einer Bettlerin ſingen, und dieſer Geſang iſt mir in der Erinnerung noch ſo ruͤhrend, daß ich keine Zeile mehr, weder abſchreiben noch ſingen kann. Wie haſt denn du geſchlafen? — wenn man auch nicht gut wacht, wenn man nur gut ſchlaͤft, ſo findet ſich auch das Wachen. Der Candidat erzaͤhlte juͤngſt ein Vorfaͤll- chen, das kuͤrzer, als ſeine Manſchetten, al- lein recht artig iſt. Ein Bauer kommt nach Mitau, um den Brief an ſeinen Sohn ja recht gut anzubringen. Er giebt ihn ab, und wartet bis der Poſtillion blaͤſet, und nun bit- tet er ihn recht freundlich, doch ja den Brief gut zu beſtellen. Lieber Sohn! Wir Men- ſchen, denk’ ich, machen es eben ſo, und auch du biſt, mit deiner Erlaubnis, nichts mehr, nichts weniger, als dieſer Bauer mit dem Briefe. Wir alle bitten den Poſtillion, den Brief, den er zwey Meilen traͤgt, gut zu be- ſtellen. Wer erreicht ſeine Schickſale, nur uͤber eine Hand voll Jahre, das ſind fuͤnf nach der Zahl der Finger? Wer bis an Stell und Ort? Auch in Abſicht deiner Mine biſt du nach Mitau gereiſet, und haſt ſo lang ge- wartet, bis geblaſen ward, und haſt recht freund-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/403>, abgerufen am 22.11.2024.