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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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ich dir nicht sagen. Es ist mir so, mein lie-
ber Sohn, als erquicke sich das Glas selbst.

Du hast mir, es ist nicht zu leugnen, ei-
nen stark gewürzten Brief geschrieben, Mus-
katennuß, Englischgewürz, Pfeffer und Ing-
ber war drinn. Zu sehr indessen zeigt der
Brief noch, daß du mein Sohn bist, und ich
deine Mutter. Zu sehr, daß du unter mei-
nem Herzen und an meiner Brust gelegen,
die niemand, als dein Vater, und der nur
beyläufig, gesehen hat. O warum, warum
vergißt du denn dies nicht alles? Das konn-
test du leider nicht. Warum denn nicht?
Grif ich dir nicht ins Herz hinein? Riß
ich dir nicht ein Aug' aus? Sohn! zu guter
Sohn! -- Wisse, daß ich mir selbst, wie jener
Gesetzgeber, dessen Sohn ein Gesetz übertrat,
worauf zwey Augen standen, auch ein Aug'
ausgerissen, und zwar das linke, das ich das
Herzensauge nenne, so wie das rechte das
Verstandsaug' ist. Jezt, ich weiß selbst nicht
wies zugeht, da ich dies alles aus der Fülle
meines Herzens herausschreibe, fühl' ich mich
einigermaassen getröstet. Mich soll verlan-
gen, ob es von Bestand seyn wird. -- --
Wundershalber brech' ich auf einen Tag ab.

Gelobt

ich dir nicht ſagen. Es iſt mir ſo, mein lie-
ber Sohn, als erquicke ſich das Glas ſelbſt.

Du haſt mir, es iſt nicht zu leugnen, ei-
nen ſtark gewuͤrzten Brief geſchrieben, Muſ-
katennuß, Engliſchgewuͤrz, Pfeffer und Ing-
ber war drinn. Zu ſehr indeſſen zeigt der
Brief noch, daß du mein Sohn biſt, und ich
deine Mutter. Zu ſehr, daß du unter mei-
nem Herzen und an meiner Bruſt gelegen,
die niemand, als dein Vater, und der nur
beylaͤufig, geſehen hat. O warum, warum
vergißt du denn dies nicht alles? Das konn-
teſt du leider nicht. Warum denn nicht?
Grif ich dir nicht ins Herz hinein? Riß
ich dir nicht ein Aug’ aus? Sohn! zu guter
Sohn! — Wiſſe, daß ich mir ſelbſt, wie jener
Geſetzgeber, deſſen Sohn ein Geſetz uͤbertrat,
worauf zwey Augen ſtanden, auch ein Aug’
ausgeriſſen, und zwar das linke, das ich das
Herzensauge nenne, ſo wie das rechte das
Verſtandsaug’ iſt. Jezt, ich weiß ſelbſt nicht
wies zugeht, da ich dies alles aus der Fuͤlle
meines Herzens herausſchreibe, fuͤhl’ ich mich
einigermaaſſen getroͤſtet. Mich ſoll verlan-
gen, ob es von Beſtand ſeyn wird. — —
Wundershalber brech’ ich auf einen Tag ab.

Gelobt
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[374/0382] ich dir nicht ſagen. Es iſt mir ſo, mein lie- ber Sohn, als erquicke ſich das Glas ſelbſt. Du haſt mir, es iſt nicht zu leugnen, ei- nen ſtark gewuͤrzten Brief geſchrieben, Muſ- katennuß, Engliſchgewuͤrz, Pfeffer und Ing- ber war drinn. Zu ſehr indeſſen zeigt der Brief noch, daß du mein Sohn biſt, und ich deine Mutter. Zu ſehr, daß du unter mei- nem Herzen und an meiner Bruſt gelegen, die niemand, als dein Vater, und der nur beylaͤufig, geſehen hat. O warum, warum vergißt du denn dies nicht alles? Das konn- teſt du leider nicht. Warum denn nicht? Grif ich dir nicht ins Herz hinein? Riß ich dir nicht ein Aug’ aus? Sohn! zu guter Sohn! — Wiſſe, daß ich mir ſelbſt, wie jener Geſetzgeber, deſſen Sohn ein Geſetz uͤbertrat, worauf zwey Augen ſtanden, auch ein Aug’ ausgeriſſen, und zwar das linke, das ich das Herzensauge nenne, ſo wie das rechte das Verſtandsaug’ iſt. Jezt, ich weiß ſelbſt nicht wies zugeht, da ich dies alles aus der Fuͤlle meines Herzens herausſchreibe, fuͤhl’ ich mich einigermaaſſen getroͤſtet. Mich ſoll verlan- gen, ob es von Beſtand ſeyn wird. — — Wundershalber brech’ ich auf einen Tag ab. Gelobt

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/382>, abgerufen am 22.07.2024.