Nur den Vormittag, nur die Predigtstunde. Ich sah Minen deines Vaters Predigt hören über: wir haben hier keine bleibende Stäte, sondern die zukünftige suchen wir, welche dir dein Vater auf mein Zudringen, wie sie da geht und steht, senden wird! O Gott, wie hörte Mine diese Predigt, und ich, wie sah ich sie hören! Gleich dacht' ich, ein Mäd- chen, das so hören kann, kann das böse seyn? Es kann nicht. Ich sah Minen manches Pre- digtwort befeuchten mit ihren Thränen! Ein warmer fruchtbarer Regen zur Seligkeit! Ich sah sie Abschied von N. 5. nehmen, einen sanften seligen Abschied! O möcht' ich doch auch, wenn ich zum letztenmal in das Gottes- haus gehe, von Num. 1. so Abschied nehmen, und wenn es auch zu mir heißt: wir haben hier keine bleibende Stäte, sondern die zu- künftige suchen wir, so von hinnen gehen, wie sie aus Num. 5. O hätt' ich doch nur einen Buchstab von diesem Abschiede gemerkt, da Minchen ihn nahm, nur ein Uhütchen, ein Ipünktchen! Welch ein schreckliches Licht ist mir jezt aufgegangen. Vorigen Sonnabend gieng ich allein ins Gotteshaus, und wollte versuchen, ob ich mich vielleicht in der Stille mit Minens Bank versöhnen könnte? Lang-
sam
A a 2
Nur den Vormittag, nur die Predigtſtunde. Ich ſah Minen deines Vaters Predigt hoͤren uͤber: wir haben hier keine bleibende Staͤte, ſondern die zukuͤnftige ſuchen wir, welche dir dein Vater auf mein Zudringen, wie ſie da geht und ſteht, ſenden wird! O Gott, wie hoͤrte Mine dieſe Predigt, und ich, wie ſah ich ſie hoͤren! Gleich dacht’ ich, ein Maͤd- chen, das ſo hoͤren kann, kann das boͤſe ſeyn? Es kann nicht. Ich ſah Minen manches Pre- digtwort befeuchten mit ihren Thraͤnen! Ein warmer fruchtbarer Regen zur Seligkeit! Ich ſah ſie Abſchied von N. 5. nehmen, einen ſanften ſeligen Abſchied! O moͤcht’ ich doch auch, wenn ich zum letztenmal in das Gottes- haus gehe, von Num. 1. ſo Abſchied nehmen, und wenn es auch zu mir heißt: wir haben hier keine bleibende Staͤte, ſondern die zu- kuͤnftige ſuchen wir, ſo von hinnen gehen, wie ſie aus Num. 5. O haͤtt’ ich doch nur einen Buchſtab von dieſem Abſchiede gemerkt, da Minchen ihn nahm, nur ein Uhuͤtchen, ein Ipuͤnktchen! Welch ein ſchreckliches Licht iſt mir jezt aufgegangen. Vorigen Sonnabend gieng ich allein ins Gotteshaus, und wollte verſuchen, ob ich mich vielleicht in der Stille mit Minens Bank verſoͤhnen koͤnnte? Lang-
ſam
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Nur den Vormittag, nur die Predigtſtunde.
Ich ſah Minen deines Vaters Predigt hoͤren
uͤber: wir haben hier keine bleibende Staͤte,
ſondern die zukuͤnftige ſuchen wir, welche dir
dein Vater auf mein Zudringen, wie ſie da
geht und ſteht, ſenden wird! O Gott, wie
hoͤrte Mine dieſe Predigt, und ich, wie ſah
ich ſie hoͤren! Gleich dacht’ ich, ein Maͤd-
chen, das ſo hoͤren kann, kann das boͤſe ſeyn?
Es kann nicht. Ich ſah Minen manches Pre-
digtwort befeuchten mit ihren Thraͤnen! Ein
warmer fruchtbarer Regen zur Seligkeit!
Ich ſah ſie Abſchied von N. 5. nehmen, einen
ſanften ſeligen Abſchied! O moͤcht’ ich doch
auch, wenn ich zum letztenmal in das Gottes-
haus gehe, von Num. 1. ſo Abſchied nehmen,
und wenn es auch zu mir heißt: wir haben
hier keine bleibende Staͤte, ſondern die zu-
kuͤnftige ſuchen wir, ſo von hinnen gehen,
wie ſie aus Num. 5. O haͤtt’ ich doch nur
einen Buchſtab von dieſem Abſchiede gemerkt,
da Minchen ihn nahm, nur ein Uhuͤtchen, ein
Ipuͤnktchen! Welch ein ſchreckliches Licht iſt
mir jezt aufgegangen. Vorigen Sonnabend
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/379>, abgerufen am 22.11.2024.
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