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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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bey der Heimführung nicht gegenwärtig seyn
könnte, wenigstens bis zu Gretchens Abreise
bleiben möchte. Der Prediger und seine Lin-
denkranke Frau blieben auch zurück. Der
Amtmann allein und Gretchens beyde Brü-
der begleiteten das junge Ehepaar. Der Ab-
schied? Bey Beschreibungen der ganzen Na-
tur kann man mahlen oder pinseln, nach der
Gabe, die jeder empfangen hat. Ist von
Menschen die Rede; wer kann ohne lästig zu
werden Leidenschaften in Worte ausbrechen
laßen?

Gretchen war im Reisekleide ausgegangen
und kam mit verweinten Augen zurück. Wo
sie gewesen? werden meine Leser nicht fragen.
An Minens Grabe. -- Ihre Mutter stand
am Fenster, sah unverwandt den Reisewagen
an und hatte sich betrübt aufgestützt. Gret-
chen gieng zu ihr, faste sie zärtlich an, und
Hanna küßte sie herzlich. Gretchen fiel ihr
zu Knien und bat um Segen! Sey gesegnet,
sagte Hanna, und legte beyde Hände auf sie,
und sey eine so gute Mutter, als du eine gute
Tochter gewesen. Nie geh' ein Lindenbaum
vor deiner Thür aus! -- Hier hemmten die
Thränen der Mutter und Tochter diese Se-
genshandlung. Nach einer Weile setzte sie

hinzu,

bey der Heimfuͤhrung nicht gegenwaͤrtig ſeyn
koͤnnte, wenigſtens bis zu Gretchens Abreiſe
bleiben moͤchte. Der Prediger und ſeine Lin-
denkranke Frau blieben auch zuruͤck. Der
Amtmann allein und Gretchens beyde Bruͤ-
der begleiteten das junge Ehepaar. Der Ab-
ſchied? Bey Beſchreibungen der ganzen Na-
tur kann man mahlen oder pinſeln, nach der
Gabe, die jeder empfangen hat. Iſt von
Menſchen die Rede; wer kann ohne laͤſtig zu
werden Leidenſchaften in Worte ausbrechen
laßen?

Gretchen war im Reiſekleide ausgegangen
und kam mit verweinten Augen zuruͤck. Wo
ſie geweſen? werden meine Leſer nicht fragen.
An Minens Grabe. — Ihre Mutter ſtand
am Fenſter, ſah unverwandt den Reiſewagen
an und hatte ſich betruͤbt aufgeſtuͤtzt. Gret-
chen gieng zu ihr, faſte ſie zaͤrtlich an, und
Hanna kuͤßte ſie herzlich. Gretchen fiel ihr
zu Knien und bat um Segen! Sey geſegnet,
ſagte Hanna, und legte beyde Haͤnde auf ſie,
und ſey eine ſo gute Mutter, als du eine gute
Tochter geweſen. Nie geh’ ein Lindenbaum
vor deiner Thuͤr aus! — Hier hemmten die
Thraͤnen der Mutter und Tochter dieſe Se-
genshandlung. Nach einer Weile ſetzte ſie

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[356/0362] bey der Heimfuͤhrung nicht gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnte, wenigſtens bis zu Gretchens Abreiſe bleiben moͤchte. Der Prediger und ſeine Lin- denkranke Frau blieben auch zuruͤck. Der Amtmann allein und Gretchens beyde Bruͤ- der begleiteten das junge Ehepaar. Der Ab- ſchied? Bey Beſchreibungen der ganzen Na- tur kann man mahlen oder pinſeln, nach der Gabe, die jeder empfangen hat. Iſt von Menſchen die Rede; wer kann ohne laͤſtig zu werden Leidenſchaften in Worte ausbrechen laßen? Gretchen war im Reiſekleide ausgegangen und kam mit verweinten Augen zuruͤck. Wo ſie geweſen? werden meine Leſer nicht fragen. An Minens Grabe. — Ihre Mutter ſtand am Fenſter, ſah unverwandt den Reiſewagen an und hatte ſich betruͤbt aufgeſtuͤtzt. Gret- chen gieng zu ihr, faſte ſie zaͤrtlich an, und Hanna kuͤßte ſie herzlich. Gretchen fiel ihr zu Knien und bat um Segen! Sey geſegnet, ſagte Hanna, und legte beyde Haͤnde auf ſie, und ſey eine ſo gute Mutter, als du eine gute Tochter geweſen. Nie geh’ ein Lindenbaum vor deiner Thuͤr aus! — Hier hemmten die Thraͤnen der Mutter und Tochter dieſe Se- genshandlung. Nach einer Weile ſetzte ſie hinzu,

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/362>, abgerufen am 22.11.2024.