Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Prediger. Ich, fuhr er fort, habe noch nie
bey dieser heiligen Handlung den Wein ge-
schmeckt. Viele der Herren von Adel schicken
den Tag zuvor ein Fläschgen aus ihrem Kel-
ler; unser Graf nicht also, obgleich sein
Rheinwein sich nicht gewaschen hat. Wir
fassen länger als gewöhnlich bey Tisch. Heut,
sagte der Prediger, fröhlich mit den Fröhli-
chen! Wir waren traurig mit den Trauri-
gen; wir sind es noch, sagte Gretchen, und
dachte so rührend an Minen, ohne sie zu nen-
nen, daß alles an sie dachte. Der Prediger
belebte diesen Gedanken durch ein paar rüh-
rende Worte. Wer seiner Todten nicht denkt,
wenn er vergnügt ist, bedenkt nicht, daß auch
sie lebten, und daß auch er sterben wird. Das
war das Gerippe, das er auf gut ägyptisch
aufstellte! Wahrlich es war nicht fürchterlich.
Sie hat ihren Myrtentag nicht erlebt, sagte
Gretchen, und lies eine Thräne fallen. Ra-
thanael küßte sie herzlich. Wer es weiß, wie
schön es sey, ein Mädchen in solchen Thränen
zu küssen, denke sich die Wonne dieses Paa-
res. Ohne Thränen giebts keine Trunken-
heit der Liebe. Diese Ehe, sagte die Predi-
gerin, hat der Tod gerathen; was er räth, ist
wohl gerathen. -- Die Dorfältesten schlossen

diese

Prediger. Ich, fuhr er fort, habe noch nie
bey dieſer heiligen Handlung den Wein ge-
ſchmeckt. Viele der Herren von Adel ſchicken
den Tag zuvor ein Flaͤſchgen aus ihrem Kel-
ler; unſer Graf nicht alſo, obgleich ſein
Rheinwein ſich nicht gewaſchen hat. Wir
faſſen laͤnger als gewoͤhnlich bey Tiſch. Heut,
ſagte der Prediger, froͤhlich mit den Froͤhli-
chen! Wir waren traurig mit den Trauri-
gen; wir ſind es noch, ſagte Gretchen, und
dachte ſo ruͤhrend an Minen, ohne ſie zu nen-
nen, daß alles an ſie dachte. Der Prediger
belebte dieſen Gedanken durch ein paar ruͤh-
rende Worte. Wer ſeiner Todten nicht denkt,
wenn er vergnuͤgt iſt, bedenkt nicht, daß auch
ſie lebten, und daß auch er ſterben wird. Das
war das Gerippe, das er auf gut aͤgyptiſch
aufſtellte! Wahrlich es war nicht fuͤrchterlich.
Sie hat ihren Myrtentag nicht erlebt, ſagte
Gretchen, und lies eine Thraͤne fallen. Ra-
thanael kuͤßte ſie herzlich. Wer es weiß, wie
ſchoͤn es ſey, ein Maͤdchen in ſolchen Thraͤnen
zu kuͤſſen, denke ſich die Wonne dieſes Paa-
res. Ohne Thraͤnen giebts keine Trunken-
heit der Liebe. Dieſe Ehe, ſagte die Predi-
gerin, hat der Tod gerathen; was er raͤth, iſt
wohl gerathen. — Die Dorfaͤlteſten ſchloſſen

dieſe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0353" n="347"/>
Prediger. Ich, fuhr er fort, habe noch nie<lb/>
bey die&#x017F;er heiligen Handlung den Wein ge-<lb/>
&#x017F;chmeckt. Viele der Herren von Adel &#x017F;chicken<lb/>
den Tag zuvor ein Fla&#x0364;&#x017F;chgen aus ihrem Kel-<lb/>
ler; un&#x017F;er Graf nicht al&#x017F;o, obgleich &#x017F;ein<lb/>
Rheinwein &#x017F;ich nicht gewa&#x017F;chen hat. Wir<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;nger als gewo&#x0364;hnlich bey Ti&#x017F;ch. Heut,<lb/>
&#x017F;agte der Prediger, fro&#x0364;hlich mit den Fro&#x0364;hli-<lb/>
chen! Wir waren traurig mit den Trauri-<lb/>
gen; wir &#x017F;ind es noch, &#x017F;agte Gretchen, und<lb/>
dachte &#x017F;o ru&#x0364;hrend an Minen, ohne &#x017F;ie zu nen-<lb/>
nen, daß alles an &#x017F;ie dachte. Der Prediger<lb/>
belebte die&#x017F;en Gedanken durch ein paar ru&#x0364;h-<lb/>
rende Worte. Wer &#x017F;einer Todten nicht denkt,<lb/>
wenn er vergnu&#x0364;gt i&#x017F;t, bedenkt nicht, daß auch<lb/>
&#x017F;ie lebten, und daß auch er &#x017F;terben wird. Das<lb/>
war das Gerippe, das er auf gut a&#x0364;gypti&#x017F;ch<lb/>
auf&#x017F;tellte! Wahrlich es war nicht fu&#x0364;rchterlich.<lb/>
Sie hat ihren Myrtentag nicht erlebt, &#x017F;agte<lb/>
Gretchen, und lies eine Thra&#x0364;ne fallen. Ra-<lb/>
thanael ku&#x0364;ßte &#x017F;ie herzlich. Wer es weiß, wie<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n es &#x017F;ey, ein Ma&#x0364;dchen in &#x017F;olchen Thra&#x0364;nen<lb/>
zu ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, denke &#x017F;ich die Wonne die&#x017F;es Paa-<lb/>
res. Ohne Thra&#x0364;nen giebts keine Trunken-<lb/>
heit der Liebe. Die&#x017F;e Ehe, &#x017F;agte die Predi-<lb/>
gerin, hat der Tod gerathen; was er ra&#x0364;th, i&#x017F;t<lb/>
wohl gerathen. &#x2014; Die Dorfa&#x0364;lte&#x017F;ten &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die&#x017F;e</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0353] Prediger. Ich, fuhr er fort, habe noch nie bey dieſer heiligen Handlung den Wein ge- ſchmeckt. Viele der Herren von Adel ſchicken den Tag zuvor ein Flaͤſchgen aus ihrem Kel- ler; unſer Graf nicht alſo, obgleich ſein Rheinwein ſich nicht gewaſchen hat. Wir faſſen laͤnger als gewoͤhnlich bey Tiſch. Heut, ſagte der Prediger, froͤhlich mit den Froͤhli- chen! Wir waren traurig mit den Trauri- gen; wir ſind es noch, ſagte Gretchen, und dachte ſo ruͤhrend an Minen, ohne ſie zu nen- nen, daß alles an ſie dachte. Der Prediger belebte dieſen Gedanken durch ein paar ruͤh- rende Worte. Wer ſeiner Todten nicht denkt, wenn er vergnuͤgt iſt, bedenkt nicht, daß auch ſie lebten, und daß auch er ſterben wird. Das war das Gerippe, das er auf gut aͤgyptiſch aufſtellte! Wahrlich es war nicht fuͤrchterlich. Sie hat ihren Myrtentag nicht erlebt, ſagte Gretchen, und lies eine Thraͤne fallen. Ra- thanael kuͤßte ſie herzlich. Wer es weiß, wie ſchoͤn es ſey, ein Maͤdchen in ſolchen Thraͤnen zu kuͤſſen, denke ſich die Wonne dieſes Paa- res. Ohne Thraͤnen giebts keine Trunken- heit der Liebe. Dieſe Ehe, ſagte die Predi- gerin, hat der Tod gerathen; was er raͤth, iſt wohl gerathen. — Die Dorfaͤlteſten ſchloſſen dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/353
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/353>, abgerufen am 22.11.2024.