Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Haupteinwand, den Gretchen aber
für sich behielt, war, daß obgleich sie mit
zwey Accenten verlangt, daß ich wenigstens
noch einmahl nach L -- kommen sollte, ich
doch in so langer Zeit nicht gekommen -- --
Zwar hatt' ich geschrieben; allein, da war
auch keine Spur, die dieses Obgleich heben,
oder nur mindern können.

Ein Brief von mir an Gretchen, der meine
Reise nach Göttingen eröfnete, gab allem
eine andre Wendung. Der Prediger sahe
diesen Brief als eine göttliche Schickung an.
Die Predigerin selbst war der Meynung, daß
die Relation nicht abgehen dörfe. Er hat doch
keinen Amtswachtmeister mehr, setzte Hanna
hinzu, und Gretchen? Sie hätte freylich be-
denken können, daß ihre Eltern arm wären,
und ihre Mutter noch obenein Lindenkrank;
allein dies war ihr wenigster Kummer. Es
ist nicht die einzigste und sicherste Art, Mäd-
chens durch Schmeicheleyen zu fahen. Man
sollte kaum glauben, was in einem unbefan-
genem Weibsbilde Raum hat. Eine Gros-
muth, die über allen Ausdruck ist. Ich ge-
traue mir zu behaupten, daß man ein Mäd-
chen durch Beleidigungen eben so weit brin-
gen kann, als durch Liebkosungen. Wenn

nicht

Der Haupteinwand, den Gretchen aber
fuͤr ſich behielt, war, daß obgleich ſie mit
zwey Accenten verlangt, daß ich wenigſtens
noch einmahl nach L — kommen ſollte, ich
doch in ſo langer Zeit nicht gekommen — —
Zwar hatt’ ich geſchrieben; allein, da war
auch keine Spur, die dieſes Obgleich heben,
oder nur mindern koͤnnen.

Ein Brief von mir an Gretchen, der meine
Reiſe nach Goͤttingen eroͤfnete, gab allem
eine andre Wendung. Der Prediger ſahe
dieſen Brief als eine goͤttliche Schickung an.
Die Predigerin ſelbſt war der Meynung, daß
die Relation nicht abgehen doͤrfe. Er hat doch
keinen Amtswachtmeiſter mehr, ſetzte Hanna
hinzu, und Gretchen? Sie haͤtte freylich be-
denken koͤnnen, daß ihre Eltern arm waͤren,
und ihre Mutter noch obenein Lindenkrank;
allein dies war ihr wenigſter Kummer. Es
iſt nicht die einzigſte und ſicherſte Art, Maͤd-
chens durch Schmeicheleyen zu fahen. Man
ſollte kaum glauben, was in einem unbefan-
genem Weibsbilde Raum hat. Eine Gros-
muth, die uͤber allen Ausdruck iſt. Ich ge-
traue mir zu behaupten, daß man ein Maͤd-
chen durch Beleidigungen eben ſo weit brin-
gen kann, als durch Liebkoſungen. Wenn

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0322" n="316"/>
        <p>Der Haupteinwand, den Gretchen aber<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich behielt, war, daß obgleich &#x017F;ie mit<lb/>
zwey Accenten verlangt, daß ich wenig&#x017F;tens<lb/>
noch einmahl nach L &#x2014; kommen &#x017F;ollte, ich<lb/>
doch in &#x017F;o langer Zeit nicht gekommen &#x2014; &#x2014;<lb/>
Zwar hatt&#x2019; ich ge&#x017F;chrieben; allein, da war<lb/>
auch keine Spur, die die&#x017F;es Obgleich heben,<lb/>
oder nur mindern ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Ein Brief von mir an Gretchen, der meine<lb/>
Rei&#x017F;e nach Go&#x0364;ttingen ero&#x0364;fnete, gab allem<lb/>
eine andre Wendung. Der Prediger &#x017F;ahe<lb/>
die&#x017F;en Brief als eine go&#x0364;ttliche Schickung an.<lb/>
Die Predigerin &#x017F;elb&#x017F;t war der Meynung, daß<lb/>
die Relation nicht abgehen do&#x0364;rfe. Er hat doch<lb/>
keinen Amtswachtmei&#x017F;ter mehr, &#x017F;etzte Hanna<lb/>
hinzu, und Gretchen? Sie ha&#x0364;tte freylich be-<lb/>
denken ko&#x0364;nnen, daß ihre Eltern arm wa&#x0364;ren,<lb/>
und ihre Mutter noch obenein Lindenkrank;<lb/>
allein dies war ihr wenig&#x017F;ter Kummer. Es<lb/>
i&#x017F;t nicht die einzig&#x017F;te und &#x017F;icher&#x017F;te Art, Ma&#x0364;d-<lb/>
chens durch Schmeicheleyen zu fahen. Man<lb/>
&#x017F;ollte kaum glauben, was in einem unbefan-<lb/>
genem Weibsbilde Raum hat. Eine Gros-<lb/>
muth, die u&#x0364;ber allen Ausdruck i&#x017F;t. Ich ge-<lb/>
traue mir zu behaupten, daß man ein Ma&#x0364;d-<lb/>
chen durch Beleidigungen eben &#x017F;o weit brin-<lb/>
gen kann, als durch Liebko&#x017F;ungen. Wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0322] Der Haupteinwand, den Gretchen aber fuͤr ſich behielt, war, daß obgleich ſie mit zwey Accenten verlangt, daß ich wenigſtens noch einmahl nach L — kommen ſollte, ich doch in ſo langer Zeit nicht gekommen — — Zwar hatt’ ich geſchrieben; allein, da war auch keine Spur, die dieſes Obgleich heben, oder nur mindern koͤnnen. Ein Brief von mir an Gretchen, der meine Reiſe nach Goͤttingen eroͤfnete, gab allem eine andre Wendung. Der Prediger ſahe dieſen Brief als eine goͤttliche Schickung an. Die Predigerin ſelbſt war der Meynung, daß die Relation nicht abgehen doͤrfe. Er hat doch keinen Amtswachtmeiſter mehr, ſetzte Hanna hinzu, und Gretchen? Sie haͤtte freylich be- denken koͤnnen, daß ihre Eltern arm waͤren, und ihre Mutter noch obenein Lindenkrank; allein dies war ihr wenigſter Kummer. Es iſt nicht die einzigſte und ſicherſte Art, Maͤd- chens durch Schmeicheleyen zu fahen. Man ſollte kaum glauben, was in einem unbefan- genem Weibsbilde Raum hat. Eine Gros- muth, die uͤber allen Ausdruck iſt. Ich ge- traue mir zu behaupten, daß man ein Maͤd- chen durch Beleidigungen eben ſo weit brin- gen kann, als durch Liebkoſungen. Wenn nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/322
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/322>, abgerufen am 22.07.2024.