Gott! in deine Hände befehl ich meinen Geist, dacht' ich tief im Herzen. Der junge Mensch hatte eine Mine, fuhr ich fort im Herzen zu denken, und war froh, daß Gram und Kummer wegen verunglückter Liebe so lang' am Herzen nagten, bis es durch und durch ist, bis man nachstirbt. Mein Auge sah gen Him- mel starr! Ha, sagte der Graf, der mich bey der Hand nahm, da haben wirs. Gelt! wenn sie einen Sarg für diesen Jüngling machen solten? Gern, grif ich ein, sehr gern, das glaub' ich, erwiederte der Graf. Sie wür- den nicht weinen und heulen. Nein, sagt' ich, ich würd es nicht -- nicht einen einzigen Thränentropfen, nicht einen -- das glaub ich, erwiederte der Graf, der stirbt gern, sehr gern, den diese Welt nicht entschädigen kann, es sey in Würklichkeit, oder in Einbildung. So hab' ich einen jungen Menschen gekannt, der mit Freuden dem Tode entgegen gieng, weil er die Zierde seines Haupts, seine Haare, ver- lohr. Er hatte sie so schön, wie Absalon! al- lein eben so leicht, wenn ers bedacht hätte, eben so leicht, wie Absalon, hätt' er an einer Eiche hängen bleiben können. -- Eine Krank- heit raubte ihm diese Zierde, gegen die ihm der Tod wie gar nichts schien. Er erholte sich zu-
sehens.
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Gott! in deine Haͤnde befehl ich meinen Geiſt, dacht’ ich tief im Herzen. Der junge Menſch hatte eine Mine, fuhr ich fort im Herzen zu denken, und war froh, daß Gram und Kummer wegen verungluͤckter Liebe ſo lang’ am Herzen nagten, bis es durch und durch iſt, bis man nachſtirbt. Mein Auge ſah gen Him- mel ſtarr! Ha, ſagte der Graf, der mich bey der Hand nahm, da haben wirs. Gelt! wenn ſie einen Sarg fuͤr dieſen Juͤngling machen ſolten? Gern, grif ich ein, ſehr gern, das glaub’ ich, erwiederte der Graf. Sie wuͤr- den nicht weinen und heulen. Nein, ſagt’ ich, ich wuͤrd es nicht — nicht einen einzigen Thraͤnentropfen, nicht einen — das glaub ich, erwiederte der Graf, der ſtirbt gern, ſehr gern, den dieſe Welt nicht entſchaͤdigen kann, es ſey in Wuͤrklichkeit, oder in Einbildung. So hab’ ich einen jungen Menſchen gekannt, der mit Freuden dem Tode entgegen gieng, weil er die Zierde ſeines Haupts, ſeine Haare, ver- lohr. Er hatte ſie ſo ſchoͤn, wie Abſalon! al- lein eben ſo leicht, wenn ers bedacht haͤtte, eben ſo leicht, wie Abſalon, haͤtt’ er an einer Eiche haͤngen bleiben koͤnnen. — Eine Krank- heit raubte ihm dieſe Zierde, gegen die ihm der Tod wie gar nichts ſchien. Er erholte ſich zu-
ſehens.
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Gott! in deine Haͤnde befehl ich meinen Geiſt,
dacht’ ich tief im Herzen. Der junge Menſch
hatte eine Mine, fuhr ich fort im Herzen
zu denken, und war froh, daß Gram und
Kummer wegen verungluͤckter Liebe ſo lang’
am Herzen nagten, bis es durch und durch iſt,
bis man nachſtirbt. Mein Auge ſah gen Him-
mel ſtarr! Ha, ſagte der Graf, der mich bey
der Hand nahm, da haben wirs. Gelt! wenn
ſie einen Sarg fuͤr dieſen Juͤngling machen
ſolten? Gern, grif ich ein, ſehr gern, das
glaub’ ich, erwiederte der Graf. Sie wuͤr-
den nicht weinen und heulen. Nein, ſagt’
ich, ich wuͤrd es nicht — nicht einen einzigen
Thraͤnentropfen, nicht einen — das glaub ich,
erwiederte der Graf, der ſtirbt gern, ſehr gern,
den dieſe Welt nicht entſchaͤdigen kann, es ſey
in Wuͤrklichkeit, oder in Einbildung. So
hab’ ich einen jungen Menſchen gekannt, der
mit Freuden dem Tode entgegen gieng, weil
er die Zierde ſeines Haupts, ſeine Haare, ver-
lohr. Er hatte ſie ſo ſchoͤn, wie Abſalon! al-
lein eben ſo leicht, wenn ers bedacht haͤtte,
eben ſo leicht, wie Abſalon, haͤtt’ er an einer
Eiche haͤngen bleiben koͤnnen. — Eine Krank-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/29>, abgerufen am 25.11.2024.
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