Eur ganzes System beruht auf Furcht, die aber nicht die Furcht des Herrn ist. Lebt so, als wenn würklich ein Gott, wenn würk- lich eine Unsterblichkeit wäre. Schön gesagt, aber auch gethan? -- Liebe, Liebe, Liebe, ist die Quelle alles Guten! Der Brunn des Le- bens! Die Liebe treibt die Furcht aus.
Niemand hat Gott je gesehen, Niemand besitzt eine Demonstration von seiner Existenz; allein brauchts einer Demonstration, das ihr seyd!
Du glaubst, Freund, daß sich die Welt selbst erhalte? daß, wer erhalten könne, auch zu schaffen vermögend sey, daß, wer B zu sagen verstünde, auch A zu sagen im Stande sey? Ich weiß, daß ein Haus sich nicht selbst bauen könne, weil es ein Kunststück ist, daß aber die Natur täglich, stündlich, augenblick- lich, baue und niederreisse, beßere und för- dere! Allein, lieber, was ist die Natur? Laß mich mit deinen Wörterchikanen; die Wahr- heit hat, wie die Sonne, ihr eigen Licht.
Vorwitz ist freylich Untugend; allein kind- liches Zutrauen und Zudringlichkeit, wie sehr unterschieden!
Ich weiß, was ich glaube, heißt das viel- weniger, als ich weiß?
Guten,
Eur ganzes Syſtem beruht auf Furcht, die aber nicht die Furcht des Herrn iſt. Lebt ſo, als wenn wuͤrklich ein Gott, wenn wuͤrk- lich eine Unſterblichkeit waͤre. Schoͤn geſagt, aber auch gethan? — Liebe, Liebe, Liebe, iſt die Quelle alles Guten! Der Brunn des Le- bens! Die Liebe treibt die Furcht aus.
Niemand hat Gott je geſehen, Niemand beſitzt eine Demonſtration von ſeiner Exiſtenz; allein brauchts einer Demonſtration, das ihr ſeyd!
Du glaubſt, Freund, daß ſich die Welt ſelbſt erhalte? daß, wer erhalten koͤnne, auch zu ſchaffen vermoͤgend ſey, daß, wer B zu ſagen verſtuͤnde, auch A zu ſagen im Stande ſey? Ich weiß, daß ein Haus ſich nicht ſelbſt bauen koͤnne, weil es ein Kunſtſtuͤck iſt, daß aber die Natur taͤglich, ſtuͤndlich, augenblick- lich, baue und niederreiſſe, beßere und foͤr- dere! Allein, lieber, was iſt die Natur? Laß mich mit deinen Woͤrterchikanen; die Wahr- heit hat, wie die Sonne, ihr eigen Licht.
Vorwitz iſt freylich Untugend; allein kind- liches Zutrauen und Zudringlichkeit, wie ſehr unterſchieden!
Ich weiß, was ich glaube, heißt das viel- weniger, als ich weiß?
Guten,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0234"n="228"/><p>Eur ganzes Syſtem beruht auf Furcht,<lb/>
die aber nicht die Furcht des Herrn iſt. Lebt<lb/>ſo, als wenn wuͤrklich ein Gott, wenn wuͤrk-<lb/>
lich eine Unſterblichkeit waͤre. Schoͤn geſagt,<lb/>
aber auch gethan? — Liebe, Liebe, Liebe, iſt<lb/>
die Quelle alles Guten! Der Brunn des Le-<lb/>
bens! Die Liebe treibt die Furcht aus.</p><lb/><p>Niemand hat Gott je geſehen, Niemand<lb/>
beſitzt eine Demonſtration von ſeiner Exiſtenz;<lb/>
allein brauchts einer Demonſtration, das ihr<lb/>ſeyd!</p><lb/><p>Du glaubſt, Freund, daß ſich die Welt<lb/>ſelbſt erhalte? daß, wer erhalten koͤnne, auch<lb/>
zu ſchaffen vermoͤgend ſey, daß, wer B zu<lb/>ſagen verſtuͤnde, auch A zu ſagen im Stande<lb/>ſey? Ich weiß, daß ein Haus ſich nicht ſelbſt<lb/>
bauen koͤnne, weil es ein Kunſtſtuͤck iſt, daß<lb/>
aber die Natur taͤglich, ſtuͤndlich, augenblick-<lb/>
lich, baue und niederreiſſe, beßere und foͤr-<lb/>
dere! Allein, lieber, was iſt die Natur? Laß<lb/>
mich mit deinen Woͤrterchikanen; die Wahr-<lb/>
heit hat, wie die Sonne, ihr eigen Licht.</p><lb/><p>Vorwitz iſt freylich Untugend; allein kind-<lb/>
liches Zutrauen und Zudringlichkeit, wie ſehr<lb/>
unterſchieden!</p><lb/><p>Ich weiß, was ich glaube, heißt das viel-<lb/>
weniger, als ich weiß?</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Guten,</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[228/0234]
Eur ganzes Syſtem beruht auf Furcht,
die aber nicht die Furcht des Herrn iſt. Lebt
ſo, als wenn wuͤrklich ein Gott, wenn wuͤrk-
lich eine Unſterblichkeit waͤre. Schoͤn geſagt,
aber auch gethan? — Liebe, Liebe, Liebe, iſt
die Quelle alles Guten! Der Brunn des Le-
bens! Die Liebe treibt die Furcht aus.
Niemand hat Gott je geſehen, Niemand
beſitzt eine Demonſtration von ſeiner Exiſtenz;
allein brauchts einer Demonſtration, das ihr
ſeyd!
Du glaubſt, Freund, daß ſich die Welt
ſelbſt erhalte? daß, wer erhalten koͤnne, auch
zu ſchaffen vermoͤgend ſey, daß, wer B zu
ſagen verſtuͤnde, auch A zu ſagen im Stande
ſey? Ich weiß, daß ein Haus ſich nicht ſelbſt
bauen koͤnne, weil es ein Kunſtſtuͤck iſt, daß
aber die Natur taͤglich, ſtuͤndlich, augenblick-
lich, baue und niederreiſſe, beßere und foͤr-
dere! Allein, lieber, was iſt die Natur? Laß
mich mit deinen Woͤrterchikanen; die Wahr-
heit hat, wie die Sonne, ihr eigen Licht.
Vorwitz iſt freylich Untugend; allein kind-
liches Zutrauen und Zudringlichkeit, wie ſehr
unterſchieden!
Ich weiß, was ich glaube, heißt das viel-
weniger, als ich weiß?
Guten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/234>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.