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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Eur ganzes System beruht auf Furcht,
die aber nicht die Furcht des Herrn ist. Lebt
so, als wenn würklich ein Gott, wenn würk-
lich eine Unsterblichkeit wäre. Schön gesagt,
aber auch gethan? -- Liebe, Liebe, Liebe, ist
die Quelle alles Guten! Der Brunn des Le-
bens! Die Liebe treibt die Furcht aus.

Niemand hat Gott je gesehen, Niemand
besitzt eine Demonstration von seiner Existenz;
allein brauchts einer Demonstration, das ihr
seyd!

Du glaubst, Freund, daß sich die Welt
selbst erhalte? daß, wer erhalten könne, auch
zu schaffen vermögend sey, daß, wer B zu
sagen verstünde, auch A zu sagen im Stande
sey? Ich weiß, daß ein Haus sich nicht selbst
bauen könne, weil es ein Kunststück ist, daß
aber die Natur täglich, stündlich, augenblick-
lich, baue und niederreisse, beßere und för-
dere! Allein, lieber, was ist die Natur? Laß
mich mit deinen Wörterchikanen; die Wahr-
heit hat, wie die Sonne, ihr eigen Licht.

Vorwitz ist freylich Untugend; allein kind-
liches Zutrauen und Zudringlichkeit, wie sehr
unterschieden!

Ich weiß, was ich glaube, heißt das viel-
weniger, als ich weiß?

Guten,

Eur ganzes Syſtem beruht auf Furcht,
die aber nicht die Furcht des Herrn iſt. Lebt
ſo, als wenn wuͤrklich ein Gott, wenn wuͤrk-
lich eine Unſterblichkeit waͤre. Schoͤn geſagt,
aber auch gethan? — Liebe, Liebe, Liebe, iſt
die Quelle alles Guten! Der Brunn des Le-
bens! Die Liebe treibt die Furcht aus.

Niemand hat Gott je geſehen, Niemand
beſitzt eine Demonſtration von ſeiner Exiſtenz;
allein brauchts einer Demonſtration, das ihr
ſeyd!

Du glaubſt, Freund, daß ſich die Welt
ſelbſt erhalte? daß, wer erhalten koͤnne, auch
zu ſchaffen vermoͤgend ſey, daß, wer B zu
ſagen verſtuͤnde, auch A zu ſagen im Stande
ſey? Ich weiß, daß ein Haus ſich nicht ſelbſt
bauen koͤnne, weil es ein Kunſtſtuͤck iſt, daß
aber die Natur taͤglich, ſtuͤndlich, augenblick-
lich, baue und niederreiſſe, beßere und foͤr-
dere! Allein, lieber, was iſt die Natur? Laß
mich mit deinen Woͤrterchikanen; die Wahr-
heit hat, wie die Sonne, ihr eigen Licht.

Vorwitz iſt freylich Untugend; allein kind-
liches Zutrauen und Zudringlichkeit, wie ſehr
unterſchieden!

Ich weiß, was ich glaube, heißt das viel-
weniger, als ich weiß?

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[228/0234] Eur ganzes Syſtem beruht auf Furcht, die aber nicht die Furcht des Herrn iſt. Lebt ſo, als wenn wuͤrklich ein Gott, wenn wuͤrk- lich eine Unſterblichkeit waͤre. Schoͤn geſagt, aber auch gethan? — Liebe, Liebe, Liebe, iſt die Quelle alles Guten! Der Brunn des Le- bens! Die Liebe treibt die Furcht aus. Niemand hat Gott je geſehen, Niemand beſitzt eine Demonſtration von ſeiner Exiſtenz; allein brauchts einer Demonſtration, das ihr ſeyd! Du glaubſt, Freund, daß ſich die Welt ſelbſt erhalte? daß, wer erhalten koͤnne, auch zu ſchaffen vermoͤgend ſey, daß, wer B zu ſagen verſtuͤnde, auch A zu ſagen im Stande ſey? Ich weiß, daß ein Haus ſich nicht ſelbſt bauen koͤnne, weil es ein Kunſtſtuͤck iſt, daß aber die Natur taͤglich, ſtuͤndlich, augenblick- lich, baue und niederreiſſe, beßere und foͤr- dere! Allein, lieber, was iſt die Natur? Laß mich mit deinen Woͤrterchikanen; die Wahr- heit hat, wie die Sonne, ihr eigen Licht. Vorwitz iſt freylich Untugend; allein kind- liches Zutrauen und Zudringlichkeit, wie ſehr unterſchieden! Ich weiß, was ich glaube, heißt das viel- weniger, als ich weiß? Guten,

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/234>, abgerufen am 23.11.2024.