der Länge, sondern nur frägt: wie sie ausge- fallen? Wie lange wir leben, steht nicht in unsern Kräften; wohl aber, ob wir gut le- ben. Mensch, klage nicht über Lebenskürze. Schicke dich in die Zeit. Mache Plane über deine Tage, und wenn du dein Leben zu Ende gelebt hast; wahrlich, so kannst du ruhig ster- ben, und warum wünschest du denn länger zu leben? Sey weise, das heißt: halte deine Zeit fest. Ist sie indeß mehr, als eine unge- treue Schöne? Sie drückt dir die Hand, und lächelt dem Nachbar zu. Der Tod nimmt von jeder Minute die Helfte, von jedwedem Athemzug ziehet er seinen Theil; wir werden jeden Augenblick schwächer. Jede Minute geht ein Theil von dir. Diesen Augenblick sieh! wie das Leben in einem tiefen Seufzer davon geht. Greifst du nach? Was ists? Schatten, weiter nichts. Der größte Le- bensschoner kommt hier nicht ungeschlagen davon. Der Genuß, wie schmeckt er? Hast du ihn schon gekostet? Zum wahren innerli- chen Zeugen, daß es mit diesem Leben nicht aus seyn könne, ist noch etwas da, das auf die Zunge beißt, das sie kützelt, und das würklich Geschmack hat; die Hofnung, und die solte zu Schanden werden laßen? Glücks-
güter
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der Laͤnge, ſondern nur fraͤgt: wie ſie ausge- fallen? Wie lange wir leben, ſteht nicht in unſern Kraͤften; wohl aber, ob wir gut le- ben. Menſch, klage nicht uͤber Lebenskuͤrze. Schicke dich in die Zeit. Mache Plane uͤber deine Tage, und wenn du dein Leben zu Ende gelebt haſt; wahrlich, ſo kannſt du ruhig ſter- ben, und warum wuͤnſcheſt du denn laͤnger zu leben? Sey weiſe, das heißt: halte deine Zeit feſt. Iſt ſie indeß mehr, als eine unge- treue Schoͤne? Sie druͤckt dir die Hand, und laͤchelt dem Nachbar zu. Der Tod nimmt von jeder Minute die Helfte, von jedwedem Athemzug ziehet er ſeinen Theil; wir werden jeden Augenblick ſchwaͤcher. Jede Minute geht ein Theil von dir. Dieſen Augenblick ſieh! wie das Leben in einem tiefen Seufzer davon geht. Greifſt du nach? Was iſts? Schatten, weiter nichts. Der groͤßte Le- bensſchoner kommt hier nicht ungeſchlagen davon. Der Genuß, wie ſchmeckt er? Haſt du ihn ſchon gekoſtet? Zum wahren innerli- chen Zeugen, daß es mit dieſem Leben nicht aus ſeyn koͤnne, iſt noch etwas da, das auf die Zunge beißt, das ſie kuͤtzelt, und das wuͤrklich Geſchmack hat; die Hofnung, und die ſolte zu Schanden werden laßen? Gluͤcks-
guͤter
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der Laͤnge, ſondern nur fraͤgt: wie ſie ausge-
fallen? Wie lange wir leben, ſteht nicht in
unſern Kraͤften; wohl aber, ob wir gut le-
ben. Menſch, klage nicht uͤber Lebenskuͤrze.
Schicke dich in die Zeit. Mache Plane uͤber
deine Tage, und wenn du dein Leben zu Ende
gelebt haſt; wahrlich, ſo kannſt du ruhig ſter-
ben, und warum wuͤnſcheſt du denn laͤnger
zu leben? Sey weiſe, das heißt: halte deine
Zeit feſt. Iſt ſie indeß mehr, als eine unge-
treue Schoͤne? Sie druͤckt dir die Hand, und
laͤchelt dem Nachbar zu. Der Tod nimmt
von jeder Minute die Helfte, von jedwedem
Athemzug ziehet er ſeinen Theil; wir werden
jeden Augenblick ſchwaͤcher. Jede Minute
geht ein Theil von dir. Dieſen Augenblick
ſieh! wie das Leben in einem tiefen Seufzer
davon geht. Greifſt du nach? Was iſts?
Schatten, weiter nichts. Der groͤßte Le-
bensſchoner kommt hier nicht ungeſchlagen
davon. Der Genuß, wie ſchmeckt er? Haſt
du ihn ſchon gekoſtet? Zum wahren innerli-
chen Zeugen, daß es mit dieſem Leben nicht
aus ſeyn koͤnne, iſt noch etwas da, das auf
die Zunge beißt, das ſie kuͤtzelt, und das
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/185>, abgerufen am 23.11.2024.
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