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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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tenknabe David zu Gottes Erdboden. Jenen
römischen Sieger trift auf dem Wege zum
Capitol ein Dachziegel, und er stirbt. He-
liogabalus wollte so sterben, als er gegeßen
hatte. Es ward ihm ein gewaltsamer Tod
prophezeyt, und er lies sich köstliche Stricke
bereiten, goldne Becher zum Gift, und einen
prächtigen Thurm zum Herabsturz; allein
stehe, seine Anstalten zum Kayserlichen Ende
waren vergebens! Sein eigen Blut war sein
Leichentuch, und die Tyber sein Grab.

Der Tod hat eine Sanduhr in der Hand,
die er verdeckt hält. Wir sehen nur die Sen-
se, die er in der andern führet. Wenn wir
gefaßt sind, warum einen Blick auf Sand in
unserer Lebensuhr? Es fallen uns tausend zur
rechten und zehntausend zur linken. Laßt uns
also bereit seyn, und eine Nachtlampe anzün-
den, wenn wir schlafen. Wir stehen auf
Rechnung, laßt uns also in unserm Wirth-
schaftsbuch alles unsträflich addiren, subtra-
hiren, multipliciren und dividiren, damit,
wenn der Herr kommt, wir Credit und Debet
fein haushälterisch vorlegen, und auf das Te-
stimonium von ihm Anspruch machen können:
Ey, du frommer und getreuer Knecht!
Wer mit Beständigkeit und Geduld in guten

Wer-
L 5

tenknabe David zu Gottes Erdboden. Jenen
roͤmiſchen Sieger trift auf dem Wege zum
Capitol ein Dachziegel, und er ſtirbt. He-
liogabalus wollte ſo ſterben, als er gegeßen
hatte. Es ward ihm ein gewaltſamer Tod
prophezeyt, und er lies ſich koͤſtliche Stricke
bereiten, goldne Becher zum Gift, und einen
praͤchtigen Thurm zum Herabſturz; allein
ſtehe, ſeine Anſtalten zum Kayſerlichen Ende
waren vergebens! Sein eigen Blut war ſein
Leichentuch, und die Tyber ſein Grab.

Der Tod hat eine Sanduhr in der Hand,
die er verdeckt haͤlt. Wir ſehen nur die Sen-
ſe, die er in der andern fuͤhret. Wenn wir
gefaßt ſind, warum einen Blick auf Sand in
unſerer Lebensuhr? Es fallen uns tauſend zur
rechten und zehntauſend zur linken. Laßt uns
alſo bereit ſeyn, und eine Nachtlampe anzuͤn-
den, wenn wir ſchlafen. Wir ſtehen auf
Rechnung, laßt uns alſo in unſerm Wirth-
ſchaftsbuch alles unſtraͤflich addiren, ſubtra-
hiren, multipliciren und dividiren, damit,
wenn der Herr kommt, wir Credit und Debet
fein haushaͤlteriſch vorlegen, und auf das Te-
ſtimonium von ihm Anſpruch machen koͤnnen:
Ey, du frommer und getreuer Knecht!
Wer mit Beſtaͤndigkeit und Geduld in guten

Wer-
L 5
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[169/0175] tenknabe David zu Gottes Erdboden. Jenen roͤmiſchen Sieger trift auf dem Wege zum Capitol ein Dachziegel, und er ſtirbt. He- liogabalus wollte ſo ſterben, als er gegeßen hatte. Es ward ihm ein gewaltſamer Tod prophezeyt, und er lies ſich koͤſtliche Stricke bereiten, goldne Becher zum Gift, und einen praͤchtigen Thurm zum Herabſturz; allein ſtehe, ſeine Anſtalten zum Kayſerlichen Ende waren vergebens! Sein eigen Blut war ſein Leichentuch, und die Tyber ſein Grab. Der Tod hat eine Sanduhr in der Hand, die er verdeckt haͤlt. Wir ſehen nur die Sen- ſe, die er in der andern fuͤhret. Wenn wir gefaßt ſind, warum einen Blick auf Sand in unſerer Lebensuhr? Es fallen uns tauſend zur rechten und zehntauſend zur linken. Laßt uns alſo bereit ſeyn, und eine Nachtlampe anzuͤn- den, wenn wir ſchlafen. Wir ſtehen auf Rechnung, laßt uns alſo in unſerm Wirth- ſchaftsbuch alles unſtraͤflich addiren, ſubtra- hiren, multipliciren und dividiren, damit, wenn der Herr kommt, wir Credit und Debet fein haushaͤlteriſch vorlegen, und auf das Te- ſtimonium von ihm Anſpruch machen koͤnnen: Ey, du frommer und getreuer Knecht! Wer mit Beſtaͤndigkeit und Geduld in guten Wer- L 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/175>, abgerufen am 23.11.2024.