Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Ende. Wir werden, das heißt: wir hören
auf zu seyn. Wir sind, das heißt: wir sterben.
Wenn wir gegessen haben, stehen wir auf,
und wenn wir gewacht haben, gehen wir,
wie alles, was lebet und webt, zur Ruhe.
Die Sonne gehet auf und unter, und der
Mensch ihr nach. Sich grämen, daß wir
sterben müssen, heißt: sich grämen, daß wir
sind. Durch Philosophie, der man durch
Ton und Gebehrde nachzuhelfen verbunden
ist, kann man den Tod besiegen. So kann
man des Todes Bitterkeit vertreiben, und,
wenn Noth am Mann ist, selbst für Ehre und
Vaterland sein Haupt hingeben, wie Johan-
nes sein Haupt zum Schauessen. Eine gräs-
liche Melone auf der Tafel eines Tyrannen!
Nicht, wer überwindet, sondern wer so viel
thut, als er weiß und kann, ist Held. Wohlan
denn, laßt uns alle Kräfte zusammenraffen und
uns anspannen, um dem Tode, dem Fürsten
der Finsternis, stattlichen Widerstand zu thun,
und das Feld zu behalten. Unser Leben ist
ein Quodlibet von Abwechselungen, ein Aprill-
tag, und wenn Thoren es gleich für Mangel
der Lebensart halten, an den Tod zu denken;
so haben doch von je her kluge Leute Todes-
betrachtungen, als richtige Proben eines gut-

gerech-
L 4

Ende. Wir werden, das heißt: wir hoͤren
auf zu ſeyn. Wir ſind, das heißt: wir ſterben.
Wenn wir gegeſſen haben, ſtehen wir auf,
und wenn wir gewacht haben, gehen wir,
wie alles, was lebet und webt, zur Ruhe.
Die Sonne gehet auf und unter, und der
Menſch ihr nach. Sich graͤmen, daß wir
ſterben muͤſſen, heißt: ſich graͤmen, daß wir
ſind. Durch Philoſophie, der man durch
Ton und Gebehrde nachzuhelfen verbunden
iſt, kann man den Tod beſiegen. So kann
man des Todes Bitterkeit vertreiben, und,
wenn Noth am Mann iſt, ſelbſt fuͤr Ehre und
Vaterland ſein Haupt hingeben, wie Johan-
nes ſein Haupt zum Schaueſſen. Eine graͤs-
liche Melone auf der Tafel eines Tyrannen!
Nicht, wer uͤberwindet, ſondern wer ſo viel
thut, als er weiß und kann, iſt Held. Wohlan
denn, laßt uns alle Kraͤfte zuſammenraffen und
uns anſpannen, um dem Tode, dem Fuͤrſten
der Finſternis, ſtattlichen Widerſtand zu thun,
und das Feld zu behalten. Unſer Leben iſt
ein Quodlibet von Abwechſelungen, ein Aprill-
tag, und wenn Thoren es gleich fuͤr Mangel
der Lebensart halten, an den Tod zu denken;
ſo haben doch von je her kluge Leute Todes-
betrachtungen, als richtige Proben eines gut-

gerech-
L 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="167"/>
Ende. Wir werden, das heißt: wir ho&#x0364;ren<lb/>
auf zu &#x017F;eyn. Wir &#x017F;ind, das heißt: wir &#x017F;terben.<lb/>
Wenn wir gege&#x017F;&#x017F;en haben, &#x017F;tehen wir auf,<lb/>
und wenn wir gewacht haben, gehen wir,<lb/>
wie alles, was lebet und webt, zur Ruhe.<lb/>
Die Sonne gehet auf und unter, und der<lb/>
Men&#x017F;ch ihr nach. Sich gra&#x0364;men, daß wir<lb/>
&#x017F;terben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, heißt: &#x017F;ich gra&#x0364;men, daß wir<lb/>
&#x017F;ind. Durch Philo&#x017F;ophie, der man durch<lb/>
Ton und Gebehrde nachzuhelfen verbunden<lb/>
i&#x017F;t, kann man den Tod be&#x017F;iegen. So kann<lb/>
man des Todes Bitterkeit vertreiben, und,<lb/>
wenn Noth am Mann i&#x017F;t, &#x017F;elb&#x017F;t fu&#x0364;r Ehre und<lb/>
Vaterland &#x017F;ein Haupt hingeben, wie Johan-<lb/>
nes &#x017F;ein Haupt zum Schaue&#x017F;&#x017F;en. Eine gra&#x0364;s-<lb/>
liche Melone auf der Tafel eines Tyrannen!<lb/>
Nicht, wer u&#x0364;berwindet, &#x017F;ondern wer &#x017F;o viel<lb/>
thut, als er weiß und kann, i&#x017F;t Held. Wohlan<lb/>
denn, laßt uns alle Kra&#x0364;fte zu&#x017F;ammenraffen und<lb/>
uns an&#x017F;pannen, um dem Tode, dem Fu&#x0364;r&#x017F;ten<lb/>
der Fin&#x017F;ternis, &#x017F;tattlichen Wider&#x017F;tand zu thun,<lb/>
und das Feld zu behalten. Un&#x017F;er Leben i&#x017F;t<lb/>
ein Quodlibet von Abwech&#x017F;elungen, ein Aprill-<lb/>
tag, und wenn Thoren es gleich fu&#x0364;r Mangel<lb/>
der Lebensart halten, an den Tod zu denken;<lb/>
&#x017F;o haben doch von je her kluge Leute Todes-<lb/>
betrachtungen, als richtige Proben eines gut-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 4</fw><fw place="bottom" type="catch">gerech-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0173] Ende. Wir werden, das heißt: wir hoͤren auf zu ſeyn. Wir ſind, das heißt: wir ſterben. Wenn wir gegeſſen haben, ſtehen wir auf, und wenn wir gewacht haben, gehen wir, wie alles, was lebet und webt, zur Ruhe. Die Sonne gehet auf und unter, und der Menſch ihr nach. Sich graͤmen, daß wir ſterben muͤſſen, heißt: ſich graͤmen, daß wir ſind. Durch Philoſophie, der man durch Ton und Gebehrde nachzuhelfen verbunden iſt, kann man den Tod beſiegen. So kann man des Todes Bitterkeit vertreiben, und, wenn Noth am Mann iſt, ſelbſt fuͤr Ehre und Vaterland ſein Haupt hingeben, wie Johan- nes ſein Haupt zum Schaueſſen. Eine graͤs- liche Melone auf der Tafel eines Tyrannen! Nicht, wer uͤberwindet, ſondern wer ſo viel thut, als er weiß und kann, iſt Held. Wohlan denn, laßt uns alle Kraͤfte zuſammenraffen und uns anſpannen, um dem Tode, dem Fuͤrſten der Finſternis, ſtattlichen Widerſtand zu thun, und das Feld zu behalten. Unſer Leben iſt ein Quodlibet von Abwechſelungen, ein Aprill- tag, und wenn Thoren es gleich fuͤr Mangel der Lebensart halten, an den Tod zu denken; ſo haben doch von je her kluge Leute Todes- betrachtungen, als richtige Proben eines gut- gerech- L 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/173
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/173>, abgerufen am 23.11.2024.