Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

zum ruhigen Leben, zum ungestörten Genuß
desselben bringen, ob sie aber das Leben ver-
längern, ist noch die Frage. Der Mensch
hat seine bestimmte Zeit. Wenn es Ausnah-
men giebt; so ist die Lebens-Oekonomie --
wenigstens nicht immer schuld daran. Wär'
es durchaus nöthig gewesen, daß wir nicht
mehr, nicht weniger, essen und trinken solten;
hätte die Natur eine Thür angebracht, die
von selbst zugefallen wäre. Erreichten denn
nur gute Lebens-Oekonomen, oder erreichten
nicht gemeinhin auch Verschwender dieses
ausgerückte Ziel? Sie scheinen zu Ausschwei-
fern bestimmt zu seyn, im Tod und Leben.
Sie leben, wenn man so sagen soll: auf Tod
und Leben. Sie empfangen ihr Gutes in die-
sem Leben! Laßt sie doch, laßt sie doch leben!
Ich wette drauf, es sind wenige, die solch ein
Leben nehmen vor halb Geld. Die meisten
Menschen haben nur Jahre, nicht Leben, zu-
rückgelegt. Sie reden vom Leben, als von
einer Sache, die man von Hörensagen kennt.
Wie viel gehört zum Leben! Man nehme den
Zufällen des Lebens ihre Wichtigkeit, wer
kann das? Man bedenke, daß nur das Wohl-
verhalten den Werth des Menschen und seines
Seyns ausmache. Wer verstehet diese Kunst?

Und

zum ruhigen Leben, zum ungeſtoͤrten Genuß
deſſelben bringen, ob ſie aber das Leben ver-
laͤngern, iſt noch die Frage. Der Menſch
hat ſeine beſtimmte Zeit. Wenn es Ausnah-
men giebt; ſo iſt die Lebens-Oekonomie —
wenigſtens nicht immer ſchuld daran. Waͤr’
es durchaus noͤthig geweſen, daß wir nicht
mehr, nicht weniger, eſſen und trinken ſolten;
haͤtte die Natur eine Thuͤr angebracht, die
von ſelbſt zugefallen waͤre. Erreichten denn
nur gute Lebens-Oekonomen, oder erreichten
nicht gemeinhin auch Verſchwender dieſes
ausgeruͤckte Ziel? Sie ſcheinen zu Ausſchwei-
fern beſtimmt zu ſeyn, im Tod und Leben.
Sie leben, wenn man ſo ſagen ſoll: auf Tod
und Leben. Sie empfangen ihr Gutes in die-
ſem Leben! Laßt ſie doch, laßt ſie doch leben!
Ich wette drauf, es ſind wenige, die ſolch ein
Leben nehmen vor halb Geld. Die meiſten
Menſchen haben nur Jahre, nicht Leben, zu-
ruͤckgelegt. Sie reden vom Leben, als von
einer Sache, die man von Hoͤrenſagen kennt.
Wie viel gehoͤrt zum Leben! Man nehme den
Zufaͤllen des Lebens ihre Wichtigkeit, wer
kann das? Man bedenke, daß nur das Wohl-
verhalten den Werth des Menſchen und ſeines
Seyns ausmache. Wer verſtehet dieſe Kunſt?

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0170" n="164"/>
zum ruhigen Leben, zum unge&#x017F;to&#x0364;rten Genuß<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben bringen, ob &#x017F;ie aber das Leben ver-<lb/>
la&#x0364;ngern, i&#x017F;t noch die Frage. Der Men&#x017F;ch<lb/>
hat &#x017F;eine be&#x017F;timmte Zeit. Wenn es Ausnah-<lb/>
men giebt; &#x017F;o i&#x017F;t die Lebens-Oekonomie &#x2014;<lb/>
wenig&#x017F;tens nicht immer &#x017F;chuld daran. Wa&#x0364;r&#x2019;<lb/>
es durchaus no&#x0364;thig gewe&#x017F;en, daß wir nicht<lb/>
mehr, nicht weniger, e&#x017F;&#x017F;en und trinken &#x017F;olten;<lb/>
ha&#x0364;tte die Natur eine Thu&#x0364;r angebracht, die<lb/>
von &#x017F;elb&#x017F;t zugefallen wa&#x0364;re. Erreichten denn<lb/>
nur gute Lebens-Oekonomen, oder erreichten<lb/>
nicht gemeinhin auch Ver&#x017F;chwender die&#x017F;es<lb/>
ausgeru&#x0364;ckte Ziel? Sie &#x017F;cheinen zu Aus&#x017F;chwei-<lb/>
fern be&#x017F;timmt zu &#x017F;eyn, im Tod und Leben.<lb/>
Sie leben, wenn man &#x017F;o &#x017F;agen &#x017F;oll: auf Tod<lb/>
und Leben. Sie empfangen ihr Gutes in die-<lb/>
&#x017F;em Leben! Laßt &#x017F;ie doch, laßt &#x017F;ie doch leben!<lb/>
Ich wette drauf, es &#x017F;ind wenige, die &#x017F;olch ein<lb/>
Leben nehmen vor halb Geld. Die mei&#x017F;ten<lb/>
Men&#x017F;chen haben nur Jahre, nicht Leben, zu-<lb/>
ru&#x0364;ckgelegt. Sie reden vom Leben, als von<lb/>
einer Sache, die man von Ho&#x0364;ren&#x017F;agen kennt.<lb/>
Wie viel geho&#x0364;rt zum Leben! Man nehme den<lb/>
Zufa&#x0364;llen des Lebens ihre Wichtigkeit, wer<lb/>
kann das? Man bedenke, daß nur das Wohl-<lb/>
verhalten den Werth des Men&#x017F;chen und &#x017F;eines<lb/>
Seyns ausmache. Wer ver&#x017F;tehet die&#x017F;e Kun&#x017F;t?<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0170] zum ruhigen Leben, zum ungeſtoͤrten Genuß deſſelben bringen, ob ſie aber das Leben ver- laͤngern, iſt noch die Frage. Der Menſch hat ſeine beſtimmte Zeit. Wenn es Ausnah- men giebt; ſo iſt die Lebens-Oekonomie — wenigſtens nicht immer ſchuld daran. Waͤr’ es durchaus noͤthig geweſen, daß wir nicht mehr, nicht weniger, eſſen und trinken ſolten; haͤtte die Natur eine Thuͤr angebracht, die von ſelbſt zugefallen waͤre. Erreichten denn nur gute Lebens-Oekonomen, oder erreichten nicht gemeinhin auch Verſchwender dieſes ausgeruͤckte Ziel? Sie ſcheinen zu Ausſchwei- fern beſtimmt zu ſeyn, im Tod und Leben. Sie leben, wenn man ſo ſagen ſoll: auf Tod und Leben. Sie empfangen ihr Gutes in die- ſem Leben! Laßt ſie doch, laßt ſie doch leben! Ich wette drauf, es ſind wenige, die ſolch ein Leben nehmen vor halb Geld. Die meiſten Menſchen haben nur Jahre, nicht Leben, zu- ruͤckgelegt. Sie reden vom Leben, als von einer Sache, die man von Hoͤrenſagen kennt. Wie viel gehoͤrt zum Leben! Man nehme den Zufaͤllen des Lebens ihre Wichtigkeit, wer kann das? Man bedenke, daß nur das Wohl- verhalten den Werth des Menſchen und ſeines Seyns ausmache. Wer verſtehet dieſe Kunſt? Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/170
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/170>, abgerufen am 27.11.2024.