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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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sie messen wird! -- Die Curländerin behielt
die Sentenz zum Sterbküssen, und wahrlich
auf solch ein Urtel den Kopf gelegt, muß sich
leicht sterben, fast so leicht, wie der Leinweber
auf seiner eigenen Hand. Wie aber, der solch
eine Sentenz formte? -- Richtet nicht! --
Eine von des Leinwebers Erben war ein nied-
liches Mädchen, das ein Rath aus dem Ober-
Collegio nicht sauer ansahe. Ich weiß nicht,
ob und in wie weit dieser Umstand auf die ge-
meine und statutarische Rechte einen Einfluß
gehabt. O der wächsernen Nase! rief der
Prediger, und dachte das Promemoria des
Justizraths. Der Graf beschlos: wenn die
Christen zur heiligen Christzeit solche Senten-
zen machen! Der Judenjunge und Benjamin
fielen mir ein. Jener in Ketten, dieser wie er
dreymahl um den Tisch hinkt. -- --

Dieses Sterbkopfküssen war nicht das
einzige, das unsere Curländerin sich unterzu-
legen im Stande war. Sie konnte noch wei-
cher liegen. Ihr Ehemann war entschlossen,
die Tochter quästionis zu heyrathen. Die
Mutter quästionis glaubte, blos ihret, der
Mutter halber; Die Tochter bildete sich ein,
es besser zu wissen. Der Ritter gewann zuse-
hens bey diesem Spiel, und lies die Mutter

glau-

ſie meſſen wird! — Die Curlaͤnderin behielt
die Sentenz zum Sterbkuͤſſen, und wahrlich
auf ſolch ein Urtel den Kopf gelegt, muß ſich
leicht ſterben, faſt ſo leicht, wie der Leinweber
auf ſeiner eigenen Hand. Wie aber, der ſolch
eine Sentenz formte? — Richtet nicht! —
Eine von des Leinwebers Erben war ein nied-
liches Maͤdchen, das ein Rath aus dem Ober-
Collegio nicht ſauer anſahe. Ich weiß nicht,
ob und in wie weit dieſer Umſtand auf die ge-
meine und ſtatutariſche Rechte einen Einfluß
gehabt. O der waͤchſernen Naſe! rief der
Prediger, und dachte das Promemoria des
Juſtizraths. Der Graf beſchlos: wenn die
Chriſten zur heiligen Chriſtzeit ſolche Senten-
zen machen! Der Judenjunge und Benjamin
fielen mir ein. Jener in Ketten, dieſer wie er
dreymahl um den Tiſch hinkt. — —

Dieſes Sterbkopfkuͤſſen war nicht das
einzige, das unſere Curlaͤnderin ſich unterzu-
legen im Stande war. Sie konnte noch wei-
cher liegen. Ihr Ehemann war entſchloſſen,
die Tochter quaͤſtionis zu heyrathen. Die
Mutter quaͤſtionis glaubte, blos ihret, der
Mutter halber; Die Tochter bildete ſich ein,
es beſſer zu wiſſen. Der Ritter gewann zuſe-
hens bey dieſem Spiel, und lies die Mutter

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[130/0136] ſie meſſen wird! — Die Curlaͤnderin behielt die Sentenz zum Sterbkuͤſſen, und wahrlich auf ſolch ein Urtel den Kopf gelegt, muß ſich leicht ſterben, faſt ſo leicht, wie der Leinweber auf ſeiner eigenen Hand. Wie aber, der ſolch eine Sentenz formte? — Richtet nicht! — Eine von des Leinwebers Erben war ein nied- liches Maͤdchen, das ein Rath aus dem Ober- Collegio nicht ſauer anſahe. Ich weiß nicht, ob und in wie weit dieſer Umſtand auf die ge- meine und ſtatutariſche Rechte einen Einfluß gehabt. O der waͤchſernen Naſe! rief der Prediger, und dachte das Promemoria des Juſtizraths. Der Graf beſchlos: wenn die Chriſten zur heiligen Chriſtzeit ſolche Senten- zen machen! Der Judenjunge und Benjamin fielen mir ein. Jener in Ketten, dieſer wie er dreymahl um den Tiſch hinkt. — — Dieſes Sterbkopfkuͤſſen war nicht das einzige, das unſere Curlaͤnderin ſich unterzu- legen im Stande war. Sie konnte noch wei- cher liegen. Ihr Ehemann war entſchloſſen, die Tochter quaͤſtionis zu heyrathen. Die Mutter quaͤſtionis glaubte, blos ihret, der Mutter halber; Die Tochter bildete ſich ein, es beſſer zu wiſſen. Der Ritter gewann zuſe- hens bey dieſem Spiel, und lies die Mutter glau-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/136>, abgerufen am 27.11.2024.