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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Die Mutter weinte; denn sie wuste wohl, daß
der arme Jacques gern noch eine Semmel
gehabt hätte. Jackchen schlug sich mit dem
Schlaf, und hatt' einen desto schwerern
Stand; denn ihn hungerte, weil er den
Schlaf überwunden hatte. Der Vater kam
um Mitternacht, und, wie es aus seiner Art
Gepolter den Anschein hatte, fröhlich und
guter Dinge heim. Der liebe kleine Junge
kroch im finstern (zu Licht war kein Dreyer
im Hause) zu seinen Füßen. Was da für
ein Hund, rief der Unvater? Dein Hünd-
chen, lieber Vater, sagte Jacquchen. Er,
"fort" der Kleine: "Gleich lieber Vater"
Warum läßt dich die Mutter herumkriechen?
Auf diese Aufforderung gab das arme Weib,
das sich schon längst in ihr Schlafkämmerlein
zurückgezogen hatte, keine Sylbe. Der liebe
Junge erzählte mit einer himmlischen Leich-
tigkeit, daß er sich des Schlafs erwehret,
und daß er seinen Vater etwas zu bitten hätte,
was seine Mutter nicht hören dürfte. Viel-
leicht wacht sie noch, fuhr der Kleine fort.
Hebt mich an Eu'r Ohr, oder neigt Euch zu
mir. Der arme Junge bat den Vater ganz
leise, seiner Mutter zwey Semmeln zurückzu-
lassen. Wir beyde, setzt' er hinzu, meine

Schwe-
H 3

Die Mutter weinte; denn ſie wuſte wohl, daß
der arme Jacques gern noch eine Semmel
gehabt haͤtte. Jackchen ſchlug ſich mit dem
Schlaf, und hatt’ einen deſto ſchwerern
Stand; denn ihn hungerte, weil er den
Schlaf uͤberwunden hatte. Der Vater kam
um Mitternacht, und, wie es aus ſeiner Art
Gepolter den Anſchein hatte, froͤhlich und
guter Dinge heim. Der liebe kleine Junge
kroch im finſtern (zu Licht war kein Dreyer
im Hauſe) zu ſeinen Fuͤßen. Was da fuͤr
ein Hund, rief der Unvater? Dein Huͤnd-
chen, lieber Vater, ſagte Jacquchen. Er,
„fort“ der Kleine: „Gleich lieber Vater“
Warum laͤßt dich die Mutter herumkriechen?
Auf dieſe Aufforderung gab das arme Weib,
das ſich ſchon laͤngſt in ihr Schlafkaͤmmerlein
zuruͤckgezogen hatte, keine Sylbe. Der liebe
Junge erzaͤhlte mit einer himmliſchen Leich-
tigkeit, daß er ſich des Schlafs erwehret,
und daß er ſeinen Vater etwas zu bitten haͤtte,
was ſeine Mutter nicht hoͤren duͤrfte. Viel-
leicht wacht ſie noch, fuhr der Kleine fort.
Hebt mich an Eu’r Ohr, oder neigt Euch zu
mir. Der arme Junge bat den Vater ganz
leiſe, ſeiner Mutter zwey Semmeln zuruͤckzu-
laſſen. Wir beyde, ſetzt’ er hinzu, meine

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[117/0123] Die Mutter weinte; denn ſie wuſte wohl, daß der arme Jacques gern noch eine Semmel gehabt haͤtte. Jackchen ſchlug ſich mit dem Schlaf, und hatt’ einen deſto ſchwerern Stand; denn ihn hungerte, weil er den Schlaf uͤberwunden hatte. Der Vater kam um Mitternacht, und, wie es aus ſeiner Art Gepolter den Anſchein hatte, froͤhlich und guter Dinge heim. Der liebe kleine Junge kroch im finſtern (zu Licht war kein Dreyer im Hauſe) zu ſeinen Fuͤßen. Was da fuͤr ein Hund, rief der Unvater? Dein Huͤnd- chen, lieber Vater, ſagte Jacquchen. Er, „fort“ der Kleine: „Gleich lieber Vater“ Warum laͤßt dich die Mutter herumkriechen? Auf dieſe Aufforderung gab das arme Weib, das ſich ſchon laͤngſt in ihr Schlafkaͤmmerlein zuruͤckgezogen hatte, keine Sylbe. Der liebe Junge erzaͤhlte mit einer himmliſchen Leich- tigkeit, daß er ſich des Schlafs erwehret, und daß er ſeinen Vater etwas zu bitten haͤtte, was ſeine Mutter nicht hoͤren duͤrfte. Viel- leicht wacht ſie noch, fuhr der Kleine fort. Hebt mich an Eu’r Ohr, oder neigt Euch zu mir. Der arme Junge bat den Vater ganz leiſe, ſeiner Mutter zwey Semmeln zuruͤckzu- laſſen. Wir beyde, ſetzt’ er hinzu, meine Schwe- H 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/123>, abgerufen am 04.12.2024.