Kurz, eh' es zum Sterben kam, trank er mit den Sterbenden Brüder und Schwester- schaft. Eine solche Sterbensschwester konnte von ihrem Lager aufstehen, und wenn es ihre Natur so wollte, gesund werden; allein sie blieb was sie einmal war -- Schwester, ob- gleich ihr Vater Organist, Fabrikant, Nad- ler war.
Der Graf nannte diese Ceremonien: Be- cherreichung. Ich freue mich, sagt' er, schon hier in dieser Welt, im Himmel zu seyn, wo wir alle, bis auf den lieben Gott, der der Hausvater ist, Brüder und Schwestern sind. Solch ein Trank ist würklicher Himmelstrank, würklicher Nektar, von dem viele Menschen sich keine Idee machen können.
Der Prediger aus L-- hatte anfänglich dieser Becherreichung wegen viel zu erinnern gehabt; indeßen ward alles fein ordentlich und ehrlich beygelegt.
Es herrschte im ganzen Hause des Grafen ein Krankentritt; langsam, und auf den Spitzen der Füße, gieng alles. Kein Wun- der, sagte der Graf, wenn hie und da Etwas steif in meinem Haus' ist, und nach diesen Einrichtungen aussieht. Wenns nur der Staat nicht ist, fuhr er fort, der auf den Ze-
hen
Kurz, eh’ es zum Sterben kam, trank er mit den Sterbenden Bruͤder und Schweſter- ſchaft. Eine ſolche Sterbensſchweſter konnte von ihrem Lager aufſtehen, und wenn es ihre Natur ſo wollte, geſund werden; allein ſie blieb was ſie einmal war — Schweſter, ob- gleich ihr Vater Organiſt, Fabrikant, Nad- ler war.
Der Graf nannte dieſe Ceremonien: Be- cherreichung. Ich freue mich, ſagt’ er, ſchon hier in dieſer Welt, im Himmel zu ſeyn, wo wir alle, bis auf den lieben Gott, der der Hausvater iſt, Bruͤder und Schweſtern ſind. Solch ein Trank iſt wuͤrklicher Himmelstrank, wuͤrklicher Nektar, von dem viele Menſchen ſich keine Idee machen koͤnnen.
Der Prediger aus L— hatte anfaͤnglich dieſer Becherreichung wegen viel zu erinnern gehabt; indeßen ward alles fein ordentlich und ehrlich beygelegt.
Es herrſchte im ganzen Hauſe des Grafen ein Krankentritt; langſam, und auf den Spitzen der Fuͤße, gieng alles. Kein Wun- der, ſagte der Graf, wenn hie und da Etwas ſteif in meinem Hauſ’ iſt, und nach dieſen Einrichtungen ausſieht. Wenns nur der Staat nicht iſt, fuhr er fort, der auf den Ze-
hen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0110"n="104"/><p>Kurz, eh’ es zum Sterben kam, trank er<lb/>
mit den Sterbenden Bruͤder und Schweſter-<lb/>ſchaft. Eine ſolche Sterbensſchweſter konnte<lb/>
von ihrem Lager aufſtehen, und wenn es ihre<lb/>
Natur ſo wollte, geſund werden; allein ſie<lb/>
blieb was ſie einmal war — Schweſter, ob-<lb/>
gleich ihr Vater Organiſt, Fabrikant, Nad-<lb/>
ler war.</p><lb/><p>Der Graf nannte dieſe Ceremonien: Be-<lb/>
cherreichung. Ich freue mich, ſagt’ er, ſchon<lb/>
hier in dieſer Welt, im Himmel zu ſeyn, wo<lb/>
wir alle, bis auf den lieben Gott, der der<lb/>
Hausvater iſt, Bruͤder und Schweſtern ſind.<lb/>
Solch ein Trank iſt wuͤrklicher Himmelstrank,<lb/>
wuͤrklicher Nektar, von dem viele Menſchen<lb/>ſich keine Idee machen koͤnnen.</p><lb/><p>Der Prediger aus L— hatte anfaͤnglich<lb/>
dieſer Becherreichung wegen viel zu erinnern<lb/>
gehabt; indeßen ward alles fein ordentlich<lb/>
und ehrlich beygelegt.</p><lb/><p>Es herrſchte im ganzen Hauſe des Grafen<lb/>
ein Krankentritt; langſam, und auf den<lb/>
Spitzen der Fuͤße, gieng alles. Kein Wun-<lb/>
der, ſagte der Graf, wenn hie und da Etwas<lb/>ſteif in meinem Hauſ’ iſt, und nach dieſen<lb/>
Einrichtungen ausſieht. Wenns nur der<lb/>
Staat nicht iſt, fuhr er fort, der auf den Ze-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">hen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[104/0110]
Kurz, eh’ es zum Sterben kam, trank er
mit den Sterbenden Bruͤder und Schweſter-
ſchaft. Eine ſolche Sterbensſchweſter konnte
von ihrem Lager aufſtehen, und wenn es ihre
Natur ſo wollte, geſund werden; allein ſie
blieb was ſie einmal war — Schweſter, ob-
gleich ihr Vater Organiſt, Fabrikant, Nad-
ler war.
Der Graf nannte dieſe Ceremonien: Be-
cherreichung. Ich freue mich, ſagt’ er, ſchon
hier in dieſer Welt, im Himmel zu ſeyn, wo
wir alle, bis auf den lieben Gott, der der
Hausvater iſt, Bruͤder und Schweſtern ſind.
Solch ein Trank iſt wuͤrklicher Himmelstrank,
wuͤrklicher Nektar, von dem viele Menſchen
ſich keine Idee machen koͤnnen.
Der Prediger aus L— hatte anfaͤnglich
dieſer Becherreichung wegen viel zu erinnern
gehabt; indeßen ward alles fein ordentlich
und ehrlich beygelegt.
Es herrſchte im ganzen Hauſe des Grafen
ein Krankentritt; langſam, und auf den
Spitzen der Fuͤße, gieng alles. Kein Wun-
der, ſagte der Graf, wenn hie und da Etwas
ſteif in meinem Hauſ’ iſt, und nach dieſen
Einrichtungen ausſieht. Wenns nur der
Staat nicht iſt, fuhr er fort, der auf den Ze-
hen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/110>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.