cher Ernst -- Ein Ernstspieler, ein Ein- fallsernst, o das kennt man auf ein Haar! --
Noch ein Wort zu seiner Unzeit.
Meine Leser werden es von selbst gemerkt haben, daß dies alles nicht in wenigen Stun- den verhandelt ward. Wir aßen und tranken, wenn die Zeit und ihr Zeiger, die Sonn, es wolte; da war der Graf wie ein anderer Mensch. Und ich kann versichern, daß es hier nicht heis- sen konnte: der Tod in Töpfen; inzwischen war auch bey Tafel alles wie beym Leichen- essen. Eine unsichtbare Stimme rief, statt des Benedicite und Gratias, nach Art des Philippus: Gedenke an den Tod! Bey Tafel ward geredet; und zwar viel. Wir waren nicht Papageien, die nur Memento mori bey schicklicher und unschicklicher Gelegenheit anbrachten, doch war alles so als bey einer Leichenwache. Mein Vater liebte eine frohe Mahlzeit, eine mit Sonnenschein. Beym Essen wird man nicht alt, sagt' er. Der Graf aß, wenn ich so sagen soll, bey Mon- denlicht. Er schien beym Essen alt werden zu wollen. Die Zimmer waren all am Tage verfinstert; der Schatten ist bey mir die Probe vom Dinge, das ihn wirft, sagte der Graf. -- Das Sonnenlicht war überhaupt
nicht
cher Ernſt — Ein Ernſtſpieler, ein Ein- fallsernſt, o das kennt man auf ein Haar! —
Noch ein Wort zu ſeiner Unzeit.
Meine Leſer werden es von ſelbſt gemerkt haben, daß dies alles nicht in wenigen Stun- den verhandelt ward. Wir aßen und tranken, wenn die Zeit und ihr Zeiger, die Sonn, es wolte; da war der Graf wie ein anderer Menſch. Und ich kann verſichern, daß es hier nicht heiſ- ſen konnte: der Tod in Toͤpfen; inzwiſchen war auch bey Tafel alles wie beym Leichen- eſſen. Eine unſichtbare Stimme rief, ſtatt des Benedicite und Gratias, nach Art des Philippus: Gedenke an den Tod! Bey Tafel ward geredet; und zwar viel. Wir waren nicht Papageien, die nur Memento mori bey ſchicklicher und unſchicklicher Gelegenheit anbrachten, doch war alles ſo als bey einer Leichenwache. Mein Vater liebte eine frohe Mahlzeit, eine mit Sonnenſchein. Beym Eſſen wird man nicht alt, ſagt’ er. Der Graf aß, wenn ich ſo ſagen ſoll, bey Mon- denlicht. Er ſchien beym Eſſen alt werden zu wollen. Die Zimmer waren all am Tage verfinſtert; der Schatten iſt bey mir die Probe vom Dinge, das ihn wirft, ſagte der Graf. — Das Sonnenlicht war uͤberhaupt
nicht
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cher Ernſt — Ein Ernſtſpieler, ein Ein-
fallsernſt, o das kennt man auf ein Haar! —
Noch ein Wort zu ſeiner Unzeit.
Meine Leſer werden es von ſelbſt gemerkt
haben, daß dies alles nicht in wenigen Stun-
den verhandelt ward. Wir aßen und tranken,
wenn die Zeit und ihr Zeiger, die Sonn, es
wolte; da war der Graf wie ein anderer Menſch.
Und ich kann verſichern, daß es hier nicht heiſ-
ſen konnte: der Tod in Toͤpfen; inzwiſchen
war auch bey Tafel alles wie beym Leichen-
eſſen. Eine unſichtbare Stimme rief, ſtatt
des Benedicite und Gratias, nach Art des
Philippus: Gedenke an den Tod! Bey Tafel
ward geredet; und zwar viel. Wir waren
nicht Papageien, die nur Memento mori
bey ſchicklicher und unſchicklicher Gelegenheit
anbrachten, doch war alles ſo als bey einer
Leichenwache. Mein Vater liebte eine frohe
Mahlzeit, eine mit Sonnenſchein. Beym
Eſſen wird man nicht alt, ſagt’ er. Der
Graf aß, wenn ich ſo ſagen ſoll, bey Mon-
denlicht. Er ſchien beym Eſſen alt werden zu
wollen. Die Zimmer waren all am Tage
verfinſtert; der Schatten iſt bey mir die
Probe vom Dinge, das ihn wirft, ſagte der
Graf. — Das Sonnenlicht war uͤberhaupt
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/104>, abgerufen am 27.11.2024.
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