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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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terinnen falteten die Hände. Der Edelmann
mir nichts, dir nichts, sprengte davon; denn
er hatte seit vielen Wochen ein ander Ann-
chen
, drum verzieh er unserm, daß es gestor-
ben war!

Diese schreckliche Worte hatten dem Pa-
stor schnell die Thränen gestauet. Beym hef-
tigen Ungewitter regnet es nicht -- Da fieng
der Pastor an, da habt ihr meine Lieben,
den Teufel gesehn! -- Sie war ein Engel! Er
ein Teufel, und alle, die solche Augenbranen
sahen, fürchteten sich nach der Zeit, als sähen
sie den bösen Geist. -- Einige von den Stadt-
frauen, welche das selige gute unschuldige
Annchen gekannt hatten, und unter denen
die bewußten drey am meisten, wunderten sich
und sprachen: warum erscheint nicht Annchens
Geist dem Bösewicht? Warum fährt nicht ihre
kalte Hand über sein Gesicht, bis Todesschweiß
vor seiner Stirn steht? Warum heulen nicht des
Abends zwischen eilf und zwölf Hunde, damit
ihm die Ohren gellen? Warum kreiselt nicht ein
Sturmwind sich um ihn herum, damit ihm Hö-
ren und Sehen vergehe? Warum pfeift ihm
nicht der Nord zu: du bist der Mann des To-
des? Warum rasseln nicht, wenn er mit seiner
Buhlerin ins Bett steigt, unter seinem Bette

Ketten

terinnen falteten die Haͤnde. Der Edelmann
mir nichts, dir nichts, ſprengte davon; denn
er hatte ſeit vielen Wochen ein ander Ann-
chen
, drum verzieh er unſerm, daß es geſtor-
ben war!

Dieſe ſchreckliche Worte hatten dem Pa-
ſtor ſchnell die Thraͤnen geſtauet. Beym hef-
tigen Ungewitter regnet es nicht — Da fieng
der Paſtor an, da habt ihr meine Lieben,
den Teufel geſehn! — Sie war ein Engel! Er
ein Teufel, und alle, die ſolche Augenbranen
ſahen, fuͤrchteten ſich nach der Zeit, als ſaͤhen
ſie den boͤſen Geiſt. — Einige von den Stadt-
frauen, welche das ſelige gute unſchuldige
Annchen gekannt hatten, und unter denen
die bewußten drey am meiſten, wunderten ſich
und ſprachen: warum erſcheint nicht Annchens
Geiſt dem Boͤſewicht? Warum faͤhrt nicht ihre
kalte Hand uͤber ſein Geſicht, bis Todesſchweiß
vor ſeiner Stirn ſteht? Warum heulen nicht des
Abends zwiſchen eilf und zwoͤlf Hunde, damit
ihm die Ohren gellen? Warum kreiſelt nicht ein
Sturmwind ſich um ihn herum, damit ihm Hoͤ-
ren und Sehen vergehe? Warum pfeift ihm
nicht der Nord zu: du biſt der Mann des To-
des? Warum raſſeln nicht, wenn er mit ſeiner
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Ketten
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[614/0626] terinnen falteten die Haͤnde. Der Edelmann mir nichts, dir nichts, ſprengte davon; denn er hatte ſeit vielen Wochen ein ander Ann- chen, drum verzieh er unſerm, daß es geſtor- ben war! Dieſe ſchreckliche Worte hatten dem Pa- ſtor ſchnell die Thraͤnen geſtauet. Beym hef- tigen Ungewitter regnet es nicht — Da fieng der Paſtor an, da habt ihr meine Lieben, den Teufel geſehn! — Sie war ein Engel! Er ein Teufel, und alle, die ſolche Augenbranen ſahen, fuͤrchteten ſich nach der Zeit, als ſaͤhen ſie den boͤſen Geiſt. — Einige von den Stadt- frauen, welche das ſelige gute unſchuldige Annchen gekannt hatten, und unter denen die bewußten drey am meiſten, wunderten ſich und ſprachen: warum erſcheint nicht Annchens Geiſt dem Boͤſewicht? Warum faͤhrt nicht ihre kalte Hand uͤber ſein Geſicht, bis Todesſchweiß vor ſeiner Stirn ſteht? Warum heulen nicht des Abends zwiſchen eilf und zwoͤlf Hunde, damit ihm die Ohren gellen? Warum kreiſelt nicht ein Sturmwind ſich um ihn herum, damit ihm Hoͤ- ren und Sehen vergehe? Warum pfeift ihm nicht der Nord zu: du biſt der Mann des To- des? Warum raſſeln nicht, wenn er mit ſeiner Buhlerin ins Bett ſteigt, unter ſeinem Bette Ketten

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/626>, abgerufen am 24.11.2024.