Anne, und lange hernach sagt' alles, "ihre Mutter auch" da hätte man doch denken sol- len, würd' er sich an die Brust schlagen und verzweifeln! Eins sagte dem andern: das ist er, und mancher, der Herz hatte, setzte, wiewohl ins Ohr, hinzu: der Mörder! Al- les wuste von seiner Falschheit gegen Annen; allein nur drey, außer dem Pastor von ihrer Leichtgläubigkeit. Der Bösewicht schien, mir nichts, dir nichts! Sie hat Ihnen -- ver--ziehen, gnädiger Herr, sagte der Pa- stor, und konnte das Wort verziehen lang nicht herausbringen. Der alte Mann war zu bewegt. -- Sie hat Ihnen verziehen, wie- derhohlt' er mit blossem Haupt', und ich, versetzte der Frevler trotzig, verzeih' ihr auch, daß sie gestorben ist! O Jung frauen! denkt ans Jahr nach Christi Geburt ein tausend sieben hundert und sieben, und an die Verzeihung, daß sie gestorben ist! Traut nicht den gnädigen Herren, wenn sie gleich bey den Gräbern eurer Väter wei- nen!
Es ward dem Pastor und seiner Gemeine, als ob die Erde bebte, da der Mörder sieg- prangte und trotzte. Der Pastor setzte sei- nen Hut auf, und die Begleiter und Beglei-
terin-
Q q 3
Anne, und lange hernach ſagt’ alles, „ihre Mutter auch“ da haͤtte man doch denken ſol- len, wuͤrd’ er ſich an die Bruſt ſchlagen und verzweifeln! Eins ſagte dem andern: das iſt er, und mancher, der Herz hatte, ſetzte, wiewohl ins Ohr, hinzu: der Moͤrder! Al- les wuſte von ſeiner Falſchheit gegen Annen; allein nur drey, außer dem Paſtor von ihrer Leichtglaͤubigkeit. Der Boͤſewicht ſchien, mir nichts, dir nichts! Sie hat Ihnen — ver—ziehen, gnaͤdiger Herr, ſagte der Pa- ſtor, und konnte das Wort verziehen lang nicht herausbringen. Der alte Mann war zu bewegt. — Sie hat Ihnen verziehen, wie- derhohlt’ er mit bloſſem Haupt’, und ich, verſetzte der Frevler trotzig, verzeih’ ihr auch, daß ſie geſtorben iſt! O Jung frauen! denkt ans Jahr nach Chriſti Geburt ein tauſend ſieben hundert und ſieben, und an die Verzeihung, daß ſie geſtorben iſt! Traut nicht den gnaͤdigen Herren, wenn ſie gleich bey den Graͤbern eurer Vaͤter wei- nen!
Es ward dem Paſtor und ſeiner Gemeine, als ob die Erde bebte, da der Moͤrder ſieg- prangte und trotzte. Der Paſtor ſetzte ſei- nen Hut auf, und die Begleiter und Beglei-
terin-
Q q 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0625"n="613"/><hirendition="#fr">Anne</hi>, und lange hernach ſagt’ alles, „ihre<lb/>
Mutter auch“ da haͤtte man doch denken ſol-<lb/>
len, wuͤrd’ er ſich an die Bruſt ſchlagen und<lb/>
verzweifeln! Eins ſagte dem andern: das iſt<lb/>
er, und mancher, der Herz hatte, ſetzte,<lb/>
wiewohl ins Ohr, hinzu: <hirendition="#fr">der Moͤrder</hi>! Al-<lb/>
les wuſte von ſeiner Falſchheit gegen <hirendition="#fr">Annen</hi>;<lb/>
allein nur drey, außer dem Paſtor von <hirendition="#fr">ihrer</hi><lb/>
Leichtglaͤubigkeit. Der Boͤſewicht ſchien, mir<lb/>
nichts, dir nichts! Sie hat Ihnen —<lb/>
ver—ziehen, gnaͤdiger Herr, ſagte der Pa-<lb/>ſtor, und konnte das Wort <hirendition="#fr">verziehen</hi> lang<lb/>
nicht herausbringen. Der alte Mann war<lb/>
zu bewegt. — Sie hat Ihnen verziehen, wie-<lb/>
derhohlt’ er mit bloſſem Haupt’, und ich,<lb/>
verſetzte der Frevler trotzig, verzeih’ ihr auch,<lb/>
daß ſie geſtorben iſt! O Jung frauen! denkt<lb/>
ans Jahr nach Chriſti Geburt ein tauſend<lb/>ſieben hundert und ſieben, und an die<lb/>
Verzeihung, daß ſie geſtorben iſt! Traut<lb/>
nicht den gnaͤdigen Herren, wenn ſie<lb/>
gleich bey den Graͤbern eurer Vaͤter wei-<lb/>
nen!</p><lb/><p>Es ward dem Paſtor und ſeiner Gemeine,<lb/>
als ob die Erde bebte, da der Moͤrder ſieg-<lb/>
prangte und trotzte. Der Paſtor ſetzte ſei-<lb/>
nen Hut auf, und die Begleiter und Beglei-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q q 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">terin-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[613/0625]
Anne, und lange hernach ſagt’ alles, „ihre
Mutter auch“ da haͤtte man doch denken ſol-
len, wuͤrd’ er ſich an die Bruſt ſchlagen und
verzweifeln! Eins ſagte dem andern: das iſt
er, und mancher, der Herz hatte, ſetzte,
wiewohl ins Ohr, hinzu: der Moͤrder! Al-
les wuſte von ſeiner Falſchheit gegen Annen;
allein nur drey, außer dem Paſtor von ihrer
Leichtglaͤubigkeit. Der Boͤſewicht ſchien, mir
nichts, dir nichts! Sie hat Ihnen —
ver—ziehen, gnaͤdiger Herr, ſagte der Pa-
ſtor, und konnte das Wort verziehen lang
nicht herausbringen. Der alte Mann war
zu bewegt. — Sie hat Ihnen verziehen, wie-
derhohlt’ er mit bloſſem Haupt’, und ich,
verſetzte der Frevler trotzig, verzeih’ ihr auch,
daß ſie geſtorben iſt! O Jung frauen! denkt
ans Jahr nach Chriſti Geburt ein tauſend
ſieben hundert und ſieben, und an die
Verzeihung, daß ſie geſtorben iſt! Traut
nicht den gnaͤdigen Herren, wenn ſie
gleich bey den Graͤbern eurer Vaͤter wei-
nen!
Es ward dem Paſtor und ſeiner Gemeine,
als ob die Erde bebte, da der Moͤrder ſieg-
prangte und trotzte. Der Paſtor ſetzte ſei-
nen Hut auf, und die Begleiter und Beglei-
terin-
Q q 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/625>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.