Schönheit! Sie schön, wie ein Engel; Er schön, wie ein Teufel, wenn er sich in einen Engel des Lichts verkleidet hat. Er schwur Annen zu lieben bis in den Tod, und wie leicht können wir betrogen werden, wenn es Jemand zum Betrug anlegt, der so schön ist, wie der Edelmann. Wer sieht immer auf die Augen- branen? Anne sagt' auf sein Zudringen, ich will, wenn meine Mutter will. -- Ihr Va- ter war während der Zeit gestorben, und der Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte sich so betrübt gestelt, daß Anne ihres Vaters und ihres Lieb habers wegen gleich betrübt war! Die arme Unglückliche! Bis jezt hatt' er noch nicht das väterliche Hauß betreten. Sein er- sier Schritt war ins Trauerhauß! Eine schreck- liche Vorbedeutung! -- Nun kam er, wenn er wolte und Anne blieb zwar bei ihrem: ich will, wenn meine Mutter will; allein sie sprach es immer schwächer. Der Bösewicht grüßte die Mutter nicht mit den süßen Worten: gib mir deine Tochter! -- Er suchte die Tochter ihrer Mutter allmählig zu entwöhnen. Die Mutter merkte -- wie ists? fragte sie den Edelmann: Ernst oder Scherz, Spiel oder Ehe? -- O Anne, warum sahst du ihm nicht in sein verruchtes Gesicht, bey dieser mütter-
lichen
Schoͤnheit! Sie ſchoͤn, wie ein Engel; Er ſchoͤn, wie ein Teufel, wenn er ſich in einen Engel des Lichts verkleidet hat. Er ſchwur Annen zu lieben bis in den Tod, und wie leicht koͤnnen wir betrogen werden, wenn es Jemand zum Betrug anlegt, der ſo ſchoͤn iſt, wie der Edelmann. Wer ſieht immer auf die Augen- branen? Anne ſagt’ auf ſein Zudringen, ich will, wenn meine Mutter will. — Ihr Va- ter war waͤhrend der Zeit geſtorben, und der Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte ſich ſo betruͤbt geſtelt, daß Anne ihres Vaters und ihres Lieb habers wegen gleich betruͤbt war! Die arme Ungluͤckliche! Bis jezt hatt’ er noch nicht das vaͤterliche Hauß betreten. Sein er- ſier Schritt war ins Trauerhauß! Eine ſchreck- liche Vorbedeutung! — Nun kam er, wenn er wolte und Anne blieb zwar bei ihrem: ich will, wenn meine Mutter will; allein ſie ſprach es immer ſchwaͤcher. Der Boͤſewicht gruͤßte die Mutter nicht mit den ſuͤßen Worten: gib mir deine Tochter! — Er ſuchte die Tochter ihrer Mutter allmaͤhlig zu entwoͤhnen. Die Mutter merkte — wie iſts? fragte ſie den Edelmann: Ernſt oder Scherz, Spiel oder Ehe? — O Anne, warum ſahſt du ihm nicht in ſein verruchtes Geſicht, bey dieſer muͤtter-
lichen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0620"n="608"/>
Schoͤnheit! <hirendition="#fr">Sie</hi>ſchoͤn, wie ein Engel; <hirendition="#fr">Er</hi><lb/>ſchoͤn, wie ein Teufel, wenn er ſich in einen<lb/>
Engel des Lichts verkleidet hat. Er ſchwur<lb/><hirendition="#fr">Annen</hi> zu lieben bis in den Tod, und wie leicht<lb/>
koͤnnen wir betrogen werden, wenn es Jemand<lb/>
zum Betrug anlegt, der ſo ſchoͤn iſt, wie der<lb/>
Edelmann. Wer ſieht immer auf die Augen-<lb/>
branen? <hirendition="#fr">Anne</hi>ſagt’ auf ſein Zudringen, ich<lb/>
will, wenn meine Mutter will. — Ihr Va-<lb/>
ter war waͤhrend der Zeit geſtorben, und der<lb/>
Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte<lb/>ſich ſo betruͤbt geſtelt, daß <hirendition="#fr">Anne</hi> ihres Vaters<lb/>
und ihres Lieb habers wegen gleich betruͤbt war!<lb/>
Die arme Ungluͤckliche! Bis jezt hatt’ er noch<lb/>
nicht das vaͤterliche Hauß betreten. Sein er-<lb/>ſier Schritt war ins Trauerhauß! Eine ſchreck-<lb/>
liche Vorbedeutung! — Nun kam er, wenn<lb/>
er wolte und <hirendition="#fr">Anne</hi> blieb zwar bei ihrem: ich<lb/>
will, wenn meine Mutter will; allein ſie ſprach<lb/>
es immer ſchwaͤcher. Der Boͤſewicht gruͤßte<lb/>
die Mutter nicht mit den ſuͤßen Worten: gib<lb/>
mir deine Tochter! — Er ſuchte die Tochter<lb/>
ihrer Mutter allmaͤhlig zu entwoͤhnen. Die<lb/>
Mutter merkte — wie iſts? fragte ſie den<lb/>
Edelmann: Ernſt oder Scherz, Spiel oder<lb/>
Ehe? — O <hirendition="#fr">Anne</hi>, warum ſahſt du ihm nicht<lb/>
in ſein verruchtes Geſicht, bey dieſer muͤtter-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">lichen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[608/0620]
Schoͤnheit! Sie ſchoͤn, wie ein Engel; Er
ſchoͤn, wie ein Teufel, wenn er ſich in einen
Engel des Lichts verkleidet hat. Er ſchwur
Annen zu lieben bis in den Tod, und wie leicht
koͤnnen wir betrogen werden, wenn es Jemand
zum Betrug anlegt, der ſo ſchoͤn iſt, wie der
Edelmann. Wer ſieht immer auf die Augen-
branen? Anne ſagt’ auf ſein Zudringen, ich
will, wenn meine Mutter will. — Ihr Va-
ter war waͤhrend der Zeit geſtorben, und der
Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte
ſich ſo betruͤbt geſtelt, daß Anne ihres Vaters
und ihres Lieb habers wegen gleich betruͤbt war!
Die arme Ungluͤckliche! Bis jezt hatt’ er noch
nicht das vaͤterliche Hauß betreten. Sein er-
ſier Schritt war ins Trauerhauß! Eine ſchreck-
liche Vorbedeutung! — Nun kam er, wenn
er wolte und Anne blieb zwar bei ihrem: ich
will, wenn meine Mutter will; allein ſie ſprach
es immer ſchwaͤcher. Der Boͤſewicht gruͤßte
die Mutter nicht mit den ſuͤßen Worten: gib
mir deine Tochter! — Er ſuchte die Tochter
ihrer Mutter allmaͤhlig zu entwoͤhnen. Die
Mutter merkte — wie iſts? fragte ſie den
Edelmann: Ernſt oder Scherz, Spiel oder
Ehe? — O Anne, warum ſahſt du ihm nicht
in ſein verruchtes Geſicht, bey dieſer muͤtter-
lichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/620>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.