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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Auf dem Kirchhofe, kurz vor dem Pasto-
rat, ergriffen mich Schauer auf Schauer
und ich fieng an zu zittern und zu zagen. --

Der Pfarrer und seine Tochter kamen mir
entgegen -- ich hatte kein Wort, ich glaub'
auch keinen Ausdruck, im Vermögen, wenn
es mir das Leben gekostet hätte. Der Pfar-
rer, der, wie er mich versicherte, selten einen
so Seel und Leib gesunden Jüngling gesehen
hatte, sah mir alles! alles! an, -- Gretchen
wuste nicht, was sie denken sollte. Todt! fieng
ich nach einer schrecklichen stummen Scene an,
und Todt! war alles, was ich konnte. -- Der
Pfarrer wust' auch nicht, nachdem er mich
sahe, womit er anfangen sollte. Alles, worauf
er sich vorbereitet hatte, war nicht anwendbar.
Er hatte sich ein ander Bild, wie er mir nach-
her entdeckte, von mir gemacht. --

Todt! alles todt! sagte ich -- und hielt
mir den Kopf mit der rechten Hand. Der
Pfarrer ergrif meine Linke. Fassung, sagt' er
so furchtsam, als wenn er zu fehlen glaubte,
als wenn er selbst nicht wuste, was er sagen
solte, als wenn er selbst nicht gefast war. Er
war es würklich nicht, der gute Mann. Gott,
der dieser Zeit Leiden so einrichtet, daß wirs

kön-

Auf dem Kirchhofe, kurz vor dem Paſto-
rat, ergriffen mich Schauer auf Schauer
und ich fieng an zu zittern und zu zagen. —

Der Pfarrer und ſeine Tochter kamen mir
entgegen — ich hatte kein Wort, ich glaub’
auch keinen Ausdruck, im Vermoͤgen, wenn
es mir das Leben gekoſtet haͤtte. Der Pfar-
rer, der, wie er mich verſicherte, ſelten einen
ſo Seel und Leib geſunden Juͤngling geſehen
hatte, ſah mir alles! alles! an, — Gretchen
wuſte nicht, was ſie denken ſollte. Todt! fieng
ich nach einer ſchrecklichen ſtummen Scene an,
und Todt! war alles, was ich konnte. — Der
Pfarrer wuſt’ auch nicht, nachdem er mich
ſahe, womit er anfangen ſollte. Alles, worauf
er ſich vorbereitet hatte, war nicht anwendbar.
Er hatte ſich ein ander Bild, wie er mir nach-
her entdeckte, von mir gemacht. —

Todt! alles todt! ſagte ich — und hielt
mir den Kopf mit der rechten Hand. Der
Pfarrer ergrif meine Linke. Faſſung, ſagt’ er
ſo furchtſam, als wenn er zu fehlen glaubte,
als wenn er ſelbſt nicht wuſte, was er ſagen
ſolte, als wenn er ſelbſt nicht gefaſt war. Er
war es wuͤrklich nicht, der gute Mann. Gott,
der dieſer Zeit Leiden ſo einrichtet, daß wirs

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[520/0530] Auf dem Kirchhofe, kurz vor dem Paſto- rat, ergriffen mich Schauer auf Schauer und ich fieng an zu zittern und zu zagen. — Der Pfarrer und ſeine Tochter kamen mir entgegen — ich hatte kein Wort, ich glaub’ auch keinen Ausdruck, im Vermoͤgen, wenn es mir das Leben gekoſtet haͤtte. Der Pfar- rer, der, wie er mich verſicherte, ſelten einen ſo Seel und Leib geſunden Juͤngling geſehen hatte, ſah mir alles! alles! an, — Gretchen wuſte nicht, was ſie denken ſollte. Todt! fieng ich nach einer ſchrecklichen ſtummen Scene an, und Todt! war alles, was ich konnte. — Der Pfarrer wuſt’ auch nicht, nachdem er mich ſahe, womit er anfangen ſollte. Alles, worauf er ſich vorbereitet hatte, war nicht anwendbar. Er hatte ſich ein ander Bild, wie er mir nach- her entdeckte, von mir gemacht. — Todt! alles todt! ſagte ich — und hielt mir den Kopf mit der rechten Hand. Der Pfarrer ergrif meine Linke. Faſſung, ſagt’ er ſo furchtſam, als wenn er zu fehlen glaubte, als wenn er ſelbſt nicht wuſte, was er ſagen ſolte, als wenn er ſelbſt nicht gefaſt war. Er war es wuͤrklich nicht, der gute Mann. Gott, der dieſer Zeit Leiden ſo einrichtet, daß wirs koͤn-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/530>, abgerufen am 22.11.2024.