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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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"O Gott, wie sehr anders bin ich heut! Fel-
"senhart ist mein Herz! Gallenbitter meine
"Zunge! Weißt du von wenn an? Vom Ab-
"schied an, den mein Vater vom Benjamin
"nahm. Nach einer so warm empfundenen
"Sonne, ein kaltes: glückliche Reise an Ben-
"jamin, und denn hinterher, wenn du den
"Augenblick Geld zur Gewerkslade nöthig
"hast, will ich den Herrn v. E. drüber schrei-
"ben! -- Da fuhr all das unausstehliche
"Wesen, das Unwesen, was ich noch diesen
"Augenblick an mir habe, fuhr in mich!"

Liebe Mine, kalt und warm bekommt
dem Herzen so wenig, als dem Magen. In
den Worten: glückliche Reise! sahst du dei-
nen Vater ganz! Alle Briefe des v. E., alle
Briefe deines Vaters, -- und nicht blos die
ersten wenigen Reihen, die du gelesen hast --
bis auf den lezten, lezten Hefen, dachtest du
diese Briefe, alle Briefe, den ganzen höllischen
Plan, alles, alles dachtest du dir, und dir
ekelte vor dieser losen Speise! -- --

Mine befand sich den ganzen Sonnabend
in einer schrecklichen Lage! Ihr Vater hätt'
ihr das sturmlaufende Herz ansehen müssen,
wenn er ein Auge auf seine Tochter gehabt
hätte. Sie war mehr als unruhig. -- Ein

Auf-

„O Gott, wie ſehr anders bin ich heut! Fel-
„ſenhart iſt mein Herz! Gallenbitter meine
„Zunge! Weißt du von wenn an? Vom Ab-
„ſchied an, den mein Vater vom Benjamin
„nahm. Nach einer ſo warm empfundenen
„Sonne, ein kaltes: gluͤckliche Reiſe an Ben-
„jamin, und denn hinterher, wenn du den
„Augenblick Geld zur Gewerkslade noͤthig
„haſt, will ich den Herrn v. E. druͤber ſchrei-
„ben! — Da fuhr all das unausſtehliche
„Weſen, das Unweſen, was ich noch dieſen
„Augenblick an mir habe, fuhr in mich!„

Liebe Mine, kalt und warm bekommt
dem Herzen ſo wenig, als dem Magen. In
den Worten: gluͤckliche Reiſe! ſahſt du dei-
nen Vater ganz! Alle Briefe des v. E., alle
Briefe deines Vaters, — und nicht blos die
erſten wenigen Reihen, die du geleſen haſt —
bis auf den lezten, lezten Hefen, dachteſt du
dieſe Briefe, alle Briefe, den ganzen hoͤlliſchen
Plan, alles, alles dachteſt du dir, und dir
ekelte vor dieſer loſen Speiſe! — —

Mine befand ſich den ganzen Sonnabend
in einer ſchrecklichen Lage! Ihr Vater haͤtt’
ihr das ſturmlaufende Herz anſehen muͤſſen,
wenn er ein Auge auf ſeine Tochter gehabt
haͤtte. Sie war mehr als unruhig. — Ein

Auf-
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[360/0368] „O Gott, wie ſehr anders bin ich heut! Fel- „ſenhart iſt mein Herz! Gallenbitter meine „Zunge! Weißt du von wenn an? Vom Ab- „ſchied an, den mein Vater vom Benjamin „nahm. Nach einer ſo warm empfundenen „Sonne, ein kaltes: gluͤckliche Reiſe an Ben- „jamin, und denn hinterher, wenn du den „Augenblick Geld zur Gewerkslade noͤthig „haſt, will ich den Herrn v. E. druͤber ſchrei- „ben! — Da fuhr all das unausſtehliche „Weſen, das Unweſen, was ich noch dieſen „Augenblick an mir habe, fuhr in mich!„ Liebe Mine, kalt und warm bekommt dem Herzen ſo wenig, als dem Magen. In den Worten: gluͤckliche Reiſe! ſahſt du dei- nen Vater ganz! Alle Briefe des v. E., alle Briefe deines Vaters, — und nicht blos die erſten wenigen Reihen, die du geleſen haſt — bis auf den lezten, lezten Hefen, dachteſt du dieſe Briefe, alle Briefe, den ganzen hoͤlliſchen Plan, alles, alles dachteſt du dir, und dir ekelte vor dieſer loſen Speiſe! — — Mine befand ſich den ganzen Sonnabend in einer ſchrecklichen Lage! Ihr Vater haͤtt’ ihr das ſturmlaufende Herz anſehen muͤſſen, wenn er ein Auge auf ſeine Tochter gehabt haͤtte. Sie war mehr als unruhig. — Ein Auf-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/368>, abgerufen am 25.11.2024.