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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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heber verzeihen solte, waren Minen unbe-
greifliche Dinge; -- allein die Hauptsache
war desto brgreiflicher. -- Mine that ihren
Mund nicht auf. -- Zu meinem Vater sich
zu wenden, hatte sie kein Herz. -- Es fiel ihr
der Ueberfall im Wäldchen ein. -- Dieser
hatte bey Minen etwas zurückgelassen, was
sie hielt -- sie wolte schon; allein sie konnt'
es nicht vollenden, o! liebe, liebe Mine,
warum nicht? --

Als ich einem meiner Freunde aus freyer
Faust meinen Lebenslauf erzählte, und an
diese Stelle kam, bey der ich ihn fragte: ha-
ben Sie das von meiner Mutter gedacht?
antwortet' er: ja, Freund; denn sie konnte
buchstabiren,
sie setzte ihren Casum, und
war fromm.

Ob mein Freund recht gerichtet, mö-
gen meine Leser, nicht hier, sondern über
ein kleines beurtheilen. -- --

Herr v. E. kam jeden Sonntag' in unsre
Kirche. Mine sah ihn nicht an; allein er
sahe sie, und wie er sahe? das wissen wir
schon. Er verlobte sich wirklich mit dem Te-
staments Fräulein; den Sonntag darauf war
er in unsrer Kirche mit ihr, und trieb die

Sache

heber verzeihen ſolte, waren Minen unbe-
greifliche Dinge; — allein die Hauptſache
war deſto brgreiflicher. — Mine that ihren
Mund nicht auf. — Zu meinem Vater ſich
zu wenden, hatte ſie kein Herz. — Es fiel ihr
der Ueberfall im Waͤldchen ein. — Dieſer
hatte bey Minen etwas zuruͤckgelaſſen, was
ſie hielt — ſie wolte ſchon; allein ſie konnt’
es nicht vollenden, o! liebe, liebe Mine,
warum nicht? —

Als ich einem meiner Freunde aus freyer
Fauſt meinen Lebenslauf erzaͤhlte, und an
dieſe Stelle kam, bey der ich ihn fragte: ha-
ben Sie das von meiner Mutter gedacht?
antwortet’ er: ja, Freund; denn ſie konnte
buchſtabiren,
ſie ſetzte ihren Caſum, und
war fromm.

Ob mein Freund recht gerichtet, moͤ-
gen meine Leſer, nicht hier, ſondern uͤber
ein kleines beurtheilen. — —

Herr v. E. kam jeden Sonntag’ in unſre
Kirche. Mine ſah ihn nicht an; allein er
ſahe ſie, und wie er ſahe? das wiſſen wir
ſchon. Er verlobte ſich wirklich mit dem Te-
ſtaments Fraͤulein; den Sonntag darauf war
er in unſrer Kirche mit ihr, und trieb die

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[335/0343] heber verzeihen ſolte, waren Minen unbe- greifliche Dinge; — allein die Hauptſache war deſto brgreiflicher. — Mine that ihren Mund nicht auf. — Zu meinem Vater ſich zu wenden, hatte ſie kein Herz. — Es fiel ihr der Ueberfall im Waͤldchen ein. — Dieſer hatte bey Minen etwas zuruͤckgelaſſen, was ſie hielt — ſie wolte ſchon; allein ſie konnt’ es nicht vollenden, o! liebe, liebe Mine, warum nicht? — Als ich einem meiner Freunde aus freyer Fauſt meinen Lebenslauf erzaͤhlte, und an dieſe Stelle kam, bey der ich ihn fragte: ha- ben Sie das von meiner Mutter gedacht? antwortet’ er: ja, Freund; denn ſie konnte buchſtabiren, ſie ſetzte ihren Caſum, und war fromm. Ob mein Freund recht gerichtet, moͤ- gen meine Leſer, nicht hier, ſondern uͤber ein kleines beurtheilen. — — Herr v. E. kam jeden Sonntag’ in unſre Kirche. Mine ſah ihn nicht an; allein er ſahe ſie, und wie er ſahe? das wiſſen wir ſchon. Er verlobte ſich wirklich mit dem Te- ſtaments Fraͤulein; den Sonntag darauf war er in unſrer Kirche mit ihr, und trieb die Sache

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/343>, abgerufen am 22.11.2024.