Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Unterschied ist ungefehr, wie zwischen
Postbot' und Nachtwächter.

Magdalene, (so hieß die Schöne quä-
stionis,) war nicht abgeneigt, mit diesem
Manne zu ziehen. Sie hatte nicht erman-
gelt, weit und breit herumzublicken, und
ihr Augennetz auszuwerfen; allein sie hatte
nichts gefangen, sie hatt', um die Sache
deutlicher zu machen, nicht abgesehen, daß
sich ein anderer mit ihr in diesem Leben ein-
spannen würde. -- Magdalene weinte herz-
lich, so oft sie an den seligen gnädigen Herrn
dachte, dessen gnädige zurückgebliebene Wittwe
so herzlich nicht über diesen Verlust weinte.
Dies macht' Aufsehen in der ganzen Gegend,
die nur eine solche Kleinigkeit von Anlaß
brauchte, um laut zu sagen, was jedes läng-
stens, und schon bey Lebzeiten des seligen gnä-
digen Herrn, da Magdalene noch nicht so
herzlich weinen durfte, gedacht hatte. Man
machte über diese Thränen der Magdalene,
bittre Anmerkungen, so daß, da der größte
Theil davon an die beyden Weinenden kam,
Wohlstandes wegen Magdalene weniger, als
die nachgebliebene Frau Wittwe, zu weinen
anfieng. Der wunderbare Wohlstand!

Es

Der Unterſchied iſt ungefehr, wie zwiſchen
Poſtbot’ und Nachtwaͤchter.

Magdalene, (ſo hieß die Schoͤne quaͤ-
ſtionis,) war nicht abgeneigt, mit dieſem
Manne zu ziehen. Sie hatte nicht erman-
gelt, weit und breit herumzublicken, und
ihr Augennetz auszuwerfen; allein ſie hatte
nichts gefangen, ſie hatt’, um die Sache
deutlicher zu machen, nicht abgeſehen, daß
ſich ein anderer mit ihr in dieſem Leben ein-
ſpannen wuͤrde. — Magdalene weinte herz-
lich, ſo oft ſie an den ſeligen gnaͤdigen Herrn
dachte, deſſen gnaͤdige zuruͤckgebliebene Wittwe
ſo herzlich nicht uͤber dieſen Verluſt weinte.
Dies macht’ Aufſehen in der ganzen Gegend,
die nur eine ſolche Kleinigkeit von Anlaß
brauchte, um laut zu ſagen, was jedes laͤng-
ſtens, und ſchon bey Lebzeiten des ſeligen gnaͤ-
digen Herrn, da Magdalene noch nicht ſo
herzlich weinen durfte, gedacht hatte. Man
machte uͤber dieſe Thraͤnen der Magdalene,
bittre Anmerkungen, ſo daß, da der groͤßte
Theil davon an die beyden Weinenden kam,
Wohlſtandes wegen Magdalene weniger, als
die nachgebliebene Frau Wittwe, zu weinen
anfieng. Der wunderbare Wohlſtand!

Es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0292" n="284"/>
Der Unter&#x017F;chied i&#x017F;t ungefehr, wie zwi&#x017F;chen<lb/>
Po&#x017F;tbot&#x2019; und Nachtwa&#x0364;chter.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Magdalene,</hi> (&#x017F;o hieß die Scho&#x0364;ne qua&#x0364;-<lb/>
&#x017F;tionis,) war nicht abgeneigt, mit die&#x017F;em<lb/>
Manne zu ziehen. Sie hatte nicht erman-<lb/>
gelt, weit und breit herumzublicken, und<lb/>
ihr Augennetz auszuwerfen; allein &#x017F;ie hatte<lb/>
nichts gefangen, &#x017F;ie hatt&#x2019;, um die Sache<lb/>
deutlicher zu machen, nicht abge&#x017F;ehen, daß<lb/>
&#x017F;ich ein anderer mit ihr in die&#x017F;em Leben ein-<lb/>
&#x017F;pannen wu&#x0364;rde. &#x2014; Magdalene weinte herz-<lb/>
lich, &#x017F;o oft &#x017F;ie an den &#x017F;eligen gna&#x0364;digen Herrn<lb/>
dachte, de&#x017F;&#x017F;en gna&#x0364;dige zuru&#x0364;ckgebliebene Wittwe<lb/>
&#x017F;o herzlich nicht u&#x0364;ber die&#x017F;en Verlu&#x017F;t weinte.<lb/>
Dies macht&#x2019; Auf&#x017F;ehen in der ganzen Gegend,<lb/>
die nur eine &#x017F;olche Kleinigkeit von Anlaß<lb/>
brauchte, um laut zu &#x017F;agen, was jedes la&#x0364;ng-<lb/>
&#x017F;tens, und &#x017F;chon bey Lebzeiten des &#x017F;eligen gna&#x0364;-<lb/>
digen Herrn, da Magdalene noch nicht &#x017F;o<lb/>
herzlich weinen durfte, gedacht hatte. Man<lb/>
machte u&#x0364;ber die&#x017F;e Thra&#x0364;nen der Magdalene,<lb/>
bittre Anmerkungen, &#x017F;o daß, da der gro&#x0364;ßte<lb/>
Theil davon an die beyden Weinenden kam,<lb/>
Wohl&#x017F;tandes wegen Magdalene weniger, als<lb/>
die nachgebliebene Frau Wittwe, zu weinen<lb/>
anfieng. Der wunderbare Wohl&#x017F;tand!</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0292] Der Unterſchied iſt ungefehr, wie zwiſchen Poſtbot’ und Nachtwaͤchter. Magdalene, (ſo hieß die Schoͤne quaͤ- ſtionis,) war nicht abgeneigt, mit dieſem Manne zu ziehen. Sie hatte nicht erman- gelt, weit und breit herumzublicken, und ihr Augennetz auszuwerfen; allein ſie hatte nichts gefangen, ſie hatt’, um die Sache deutlicher zu machen, nicht abgeſehen, daß ſich ein anderer mit ihr in dieſem Leben ein- ſpannen wuͤrde. — Magdalene weinte herz- lich, ſo oft ſie an den ſeligen gnaͤdigen Herrn dachte, deſſen gnaͤdige zuruͤckgebliebene Wittwe ſo herzlich nicht uͤber dieſen Verluſt weinte. Dies macht’ Aufſehen in der ganzen Gegend, die nur eine ſolche Kleinigkeit von Anlaß brauchte, um laut zu ſagen, was jedes laͤng- ſtens, und ſchon bey Lebzeiten des ſeligen gnaͤ- digen Herrn, da Magdalene noch nicht ſo herzlich weinen durfte, gedacht hatte. Man machte uͤber dieſe Thraͤnen der Magdalene, bittre Anmerkungen, ſo daß, da der groͤßte Theil davon an die beyden Weinenden kam, Wohlſtandes wegen Magdalene weniger, als die nachgebliebene Frau Wittwe, zu weinen anfieng. Der wunderbare Wohlſtand! Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/292
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/292>, abgerufen am 22.11.2024.