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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Ich schreibe (meine Leser werden es, wie
ich nach der Liebe hoffe, wissen) Leben, nicht
Schule, und was kann ich also von meinem
akademischen Laufe sagen, was eingroßer Theil
meiner Leser nicht schon selbst, wie ihren Haus-
und Wirthschaftscalender, aus und inwendig
wüßte. Die Lehrer lasen; ich hörte. Ich
lernte von allem, was ich schon wußte, die
Grammatik, auf der Reitschule, auf dem Tanz-
boden, in der Philosophie, in -- allem. Ich
lernte meinen Lehrern den kürzesten Weg zum
Ziel ab, und war aufmerksam auf die Straße,
die zu gehen, und auf die Straße, die zu mei-
den, war. Solte man nicht überhaupt auf
Universitäten mehr Polemik als Thetik in al-
len menschmöglichen Wissenschaften lehren?
Und solte nicht Kritik, in einem besondern
Sinn, der Gegenstand der akademischen Be-
schäftigungen seyn? Der ist in meinen Augen
der beste Professor, der am gründlichsten sei-
nen Schülern zu sagen weiß, was nicht ver-
lohnt gelernt zu werden, und die Titel von
dem, was Lernens werth ist. Meine Haupt-
bemühung in Rücksicht der Gelehrsamkeit auf
der Universität war, ein Lexicon zusammen zu
tragen, wo ich die Gelehrsamkeit weiter nach-
schlagen könnte, wenn ich, wie Felix, geleg-

nere

Ich ſchreibe (meine Leſer werden es, wie
ich nach der Liebe hoffe, wiſſen) Leben, nicht
Schule, und was kann ich alſo von meinem
akademiſchen Laufe ſagen, was eingroßer Theil
meiner Leſer nicht ſchon ſelbſt, wie ihren Haus-
und Wirthſchaftscalender, aus und inwendig
wuͤßte. Die Lehrer laſen; ich hoͤrte. Ich
lernte von allem, was ich ſchon wußte, die
Grammatik, auf der Reitſchule, auf dem Tanz-
boden, in der Philoſophie, in — allem. Ich
lernte meinen Lehrern den kuͤrzeſten Weg zum
Ziel ab, und war aufmerkſam auf die Straße,
die zu gehen, und auf die Straße, die zu mei-
den, war. Solte man nicht uͤberhaupt auf
Univerſitaͤten mehr Polemik als Thetik in al-
len menſchmoͤglichen Wiſſenſchaften lehren?
Und ſolte nicht Kritik, in einem beſondern
Sinn, der Gegenſtand der akademiſchen Be-
ſchaͤftigungen ſeyn? Der iſt in meinen Augen
der beſte Profeſſor, der am gruͤndlichſten ſei-
nen Schuͤlern zu ſagen weiß, was nicht ver-
lohnt gelernt zu werden, und die Titel von
dem, was Lernens werth iſt. Meine Haupt-
bemuͤhung in Ruͤckſicht der Gelehrſamkeit auf
der Univerſitaͤt war, ein Lexicon zuſammen zu
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ſchlagen koͤnnte, wenn ich, wie Felix, geleg-

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[264/0272] Ich ſchreibe (meine Leſer werden es, wie ich nach der Liebe hoffe, wiſſen) Leben, nicht Schule, und was kann ich alſo von meinem akademiſchen Laufe ſagen, was eingroßer Theil meiner Leſer nicht ſchon ſelbſt, wie ihren Haus- und Wirthſchaftscalender, aus und inwendig wuͤßte. Die Lehrer laſen; ich hoͤrte. Ich lernte von allem, was ich ſchon wußte, die Grammatik, auf der Reitſchule, auf dem Tanz- boden, in der Philoſophie, in — allem. Ich lernte meinen Lehrern den kuͤrzeſten Weg zum Ziel ab, und war aufmerkſam auf die Straße, die zu gehen, und auf die Straße, die zu mei- den, war. Solte man nicht uͤberhaupt auf Univerſitaͤten mehr Polemik als Thetik in al- len menſchmoͤglichen Wiſſenſchaften lehren? Und ſolte nicht Kritik, in einem beſondern Sinn, der Gegenſtand der akademiſchen Be- ſchaͤftigungen ſeyn? Der iſt in meinen Augen der beſte Profeſſor, der am gruͤndlichſten ſei- nen Schuͤlern zu ſagen weiß, was nicht ver- lohnt gelernt zu werden, und die Titel von dem, was Lernens werth iſt. Meine Haupt- bemuͤhung in Ruͤckſicht der Gelehrſamkeit auf der Univerſitaͤt war, ein Lexicon zuſammen zu tragen, wo ich die Gelehrſamkeit weiter nach- ſchlagen koͤnnte, wenn ich, wie Felix, geleg- nere

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/272>, abgerufen am 22.11.2024.