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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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beym ersten Kuß, den ich ihnen zudrücke, ho-
len, wenn ich nicht mein Dorfmädchen viel
höher schätze, als sie! -- Ehrlicher! und das
heißt genau genommen, auch schöner! Meine
Trine, ausgewachsen wie eine Göttin, kein
Mißglied an ihr, keins verkrümmet und ver-
kratzt. -- Alles reif, herausgegangen wie die
Natur! --

redet dein Vater aus dir? fiel ich ihm ein.
getroffen, erwiedert' er, aber meine Empfin-
dung bestätigt seine Rede.

Mein akademischer Wandel -- ich kam
nicht mit Denksucht sondern mit Lernsucht,
in die Hörsäle, nicht verwöhnt, sondern hung-
rig und durstig. Ich dachte nicht meinen Le-
benslauf zu schreiben, welcher Einfall mich
nur seit kurzem überfiel, sondern ich wolte le-
ben lernen. Ich durfte nicht meine Hengste
der Einbildungskraft ausspannen, die mich zu
tausend Zeitungslorbern führen solten; denn
ich hatte sie nie angespannet. Ich flog nicht,
ich gieng, und wußte, wie es wächsernen Flü-
geln, wenn sie der Sonne nahe kommen, zu
gehen pflegt. Höchstens lief ich -- um aus
einer Stunde zeitig genug in die andre zu stür-
zen. Im Hörsal dacht' ich: Er hats gesagt;
zu Hause frug ich mich: was hat er gesagt?

Ich
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beym erſten Kuß, den ich ihnen zudruͤcke, ho-
len, wenn ich nicht mein Dorfmaͤdchen viel
hoͤher ſchaͤtze, als ſie! — Ehrlicher! und das
heißt genau genommen, auch ſchoͤner! Meine
Trine, ausgewachſen wie eine Goͤttin, kein
Mißglied an ihr, keins verkruͤmmet und ver-
kratzt. — Alles reif, herausgegangen wie die
Natur! —

redet dein Vater aus dir? fiel ich ihm ein.
getroffen, erwiedert’ er, aber meine Empfin-
dung beſtaͤtigt ſeine Rede.

Mein akademiſcher Wandel — ich kam
nicht mit Denkſucht ſondern mit Lernſucht,
in die Hoͤrſaͤle, nicht verwoͤhnt, ſondern hung-
rig und durſtig. Ich dachte nicht meinen Le-
benslauf zu ſchreiben, welcher Einfall mich
nur ſeit kurzem uͤberfiel, ſondern ich wolte le-
ben lernen. Ich durfte nicht meine Hengſte
der Einbildungskraft ausſpannen, die mich zu
tauſend Zeitungslorbern fuͤhren ſolten; denn
ich hatte ſie nie angeſpannet. Ich flog nicht,
ich gieng, und wußte, wie es waͤchſernen Fluͤ-
geln, wenn ſie der Sonne nahe kommen, zu
gehen pflegt. Hoͤchſtens lief ich — um aus
einer Stunde zeitig genug in die andre zu ſtuͤr-
zen. Im Hoͤrſal dacht’ ich: Er hats geſagt;
zu Hauſe frug ich mich: was hat er geſagt?

Ich
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[263/0271] beym erſten Kuß, den ich ihnen zudruͤcke, ho- len, wenn ich nicht mein Dorfmaͤdchen viel hoͤher ſchaͤtze, als ſie! — Ehrlicher! und das heißt genau genommen, auch ſchoͤner! Meine Trine, ausgewachſen wie eine Goͤttin, kein Mißglied an ihr, keins verkruͤmmet und ver- kratzt. — Alles reif, herausgegangen wie die Natur! — redet dein Vater aus dir? fiel ich ihm ein. getroffen, erwiedert’ er, aber meine Empfin- dung beſtaͤtigt ſeine Rede. Mein akademiſcher Wandel — ich kam nicht mit Denkſucht ſondern mit Lernſucht, in die Hoͤrſaͤle, nicht verwoͤhnt, ſondern hung- rig und durſtig. Ich dachte nicht meinen Le- benslauf zu ſchreiben, welcher Einfall mich nur ſeit kurzem uͤberfiel, ſondern ich wolte le- ben lernen. Ich durfte nicht meine Hengſte der Einbildungskraft ausſpannen, die mich zu tauſend Zeitungslorbern fuͤhren ſolten; denn ich hatte ſie nie angeſpannet. Ich flog nicht, ich gieng, und wußte, wie es waͤchſernen Fluͤ- geln, wenn ſie der Sonne nahe kommen, zu gehen pflegt. Hoͤchſtens lief ich — um aus einer Stunde zeitig genug in die andre zu ſtuͤr- zen. Im Hoͤrſal dacht’ ich: Er hats geſagt; zu Hauſe frug ich mich: was hat er geſagt? Ich R 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/271>, abgerufen am 22.11.2024.