Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Vorurtheil ist eine Lüge, nur daß
sie nicht immer vom Vater, dem Teufel, ist.

Große Köpfe stiften viel Gutes; allein
auch wahrlich viel Unheil: denn sie werden
verehrt, und niemand untersteht sich, weiter
zu gehen. Sie sind ein Wall, den kein Re-
mus zu ersteigen sich unterfängt. Jeder
Mensch hat einen Hang, seine Meynungen
andern mitzutheilen, und der Gelehrteste ist
nicht gleichgültig gegen das Urtheil seiner
Wäscherin und seines Ofenheizers. Die Me-
thode ist dogmatisch über apodiktische Wahr-
heiten, und dies ist die Methode der Unter-
weisung und Behauptung. Die Methode ist
aber sceptisch, polemisch, wo man erst unter-
sucht, ob etwas apodiktisch heißen kann. Dies
ist die Methode der Untersuchung, Beprü-
fung oder Kritik. Die polemische Method'
ist die Läuterung, das Sterben, die Verwe-
sung in der Kenntniß, ehe wir zum Licht und
Leben kommen. Die sceptische Philosophie
ist hievon verschieden, von welcher wir oben
loco congruo schon ein Wörtchen gewechselt.
Zweifeln und sein Urtheil aufschieben, ist so
unterschieden, als vorurtheilen und nach-
urtheilen.

Hier
Zweiter Th. Q

Ein Vorurtheil iſt eine Luͤge, nur daß
ſie nicht immer vom Vater, dem Teufel, iſt.

Große Koͤpfe ſtiften viel Gutes; allein
auch wahrlich viel Unheil: denn ſie werden
verehrt, und niemand unterſteht ſich, weiter
zu gehen. Sie ſind ein Wall, den kein Re-
mus zu erſteigen ſich unterfaͤngt. Jeder
Menſch hat einen Hang, ſeine Meynungen
andern mitzutheilen, und der Gelehrteſte iſt
nicht gleichguͤltig gegen das Urtheil ſeiner
Waͤſcherin und ſeines Ofenheizers. Die Me-
thode iſt dogmatiſch uͤber apodiktiſche Wahr-
heiten, und dies iſt die Methode der Unter-
weiſung und Behauptung. Die Methode iſt
aber ſceptiſch, polemiſch, wo man erſt unter-
ſucht, ob etwas apodiktiſch heißen kann. Dies
iſt die Methode der Unterſuchung, Bepruͤ-
fung oder Kritik. Die polemiſche Method’
iſt die Laͤuterung, das Sterben, die Verwe-
ſung in der Kenntniß, ehe wir zum Licht und
Leben kommen. Die ſceptiſche Philoſophie
iſt hievon verſchieden, von welcher wir oben
loco congruo ſchon ein Woͤrtchen gewechſelt.
Zweifeln und ſein Urtheil aufſchieben, iſt ſo
unterſchieden, als vorurtheilen und nach-
urtheilen.

Hier
Zweiter Th. Q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0249" n="241"/>
          <p>Ein Vorurtheil i&#x017F;t eine Lu&#x0364;ge, nur daß<lb/>
&#x017F;ie nicht immer vom Vater, dem Teufel, i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Große Ko&#x0364;pfe &#x017F;tiften viel Gutes; allein<lb/>
auch wahrlich viel Unheil: denn &#x017F;ie werden<lb/>
verehrt, und niemand unter&#x017F;teht &#x017F;ich, weiter<lb/>
zu gehen. Sie &#x017F;ind ein Wall, den kein Re-<lb/>
mus zu er&#x017F;teigen &#x017F;ich unterfa&#x0364;ngt. Jeder<lb/>
Men&#x017F;ch hat einen Hang, &#x017F;eine Meynungen<lb/>
andern mitzutheilen, und der Gelehrte&#x017F;te i&#x017F;t<lb/>
nicht gleichgu&#x0364;ltig gegen das Urtheil &#x017F;einer<lb/>
Wa&#x0364;&#x017F;cherin und &#x017F;eines Ofenheizers. Die Me-<lb/>
thode i&#x017F;t dogmati&#x017F;ch u&#x0364;ber apodikti&#x017F;che Wahr-<lb/>
heiten, und dies i&#x017F;t die Methode der Unter-<lb/>
wei&#x017F;ung und Behauptung. Die Methode i&#x017F;t<lb/>
aber &#x017F;cepti&#x017F;ch, polemi&#x017F;ch, wo man er&#x017F;t unter-<lb/>
&#x017F;ucht, ob etwas apodikti&#x017F;ch heißen kann. Dies<lb/>
i&#x017F;t die Methode der Unter&#x017F;uchung, Bepru&#x0364;-<lb/>
fung oder Kritik. Die polemi&#x017F;che Method&#x2019;<lb/>
i&#x017F;t die La&#x0364;uterung, das Sterben, die Verwe-<lb/>
&#x017F;ung in der Kenntniß, ehe wir zum Licht und<lb/>
Leben kommen. Die &#x017F;cepti&#x017F;che Philo&#x017F;ophie<lb/>
i&#x017F;t hievon ver&#x017F;chieden, von welcher wir oben<lb/><hi rendition="#aq">loco congruo</hi> &#x017F;chon ein Wo&#x0364;rtchen gewech&#x017F;elt.<lb/>
Zweifeln und &#x017F;ein Urtheil auf&#x017F;chieben, i&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
unter&#x017F;chieden, als vorurtheilen und nach-<lb/>
urtheilen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Zweiter Th.</hi> Q</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Hier</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0249] Ein Vorurtheil iſt eine Luͤge, nur daß ſie nicht immer vom Vater, dem Teufel, iſt. Große Koͤpfe ſtiften viel Gutes; allein auch wahrlich viel Unheil: denn ſie werden verehrt, und niemand unterſteht ſich, weiter zu gehen. Sie ſind ein Wall, den kein Re- mus zu erſteigen ſich unterfaͤngt. Jeder Menſch hat einen Hang, ſeine Meynungen andern mitzutheilen, und der Gelehrteſte iſt nicht gleichguͤltig gegen das Urtheil ſeiner Waͤſcherin und ſeines Ofenheizers. Die Me- thode iſt dogmatiſch uͤber apodiktiſche Wahr- heiten, und dies iſt die Methode der Unter- weiſung und Behauptung. Die Methode iſt aber ſceptiſch, polemiſch, wo man erſt unter- ſucht, ob etwas apodiktiſch heißen kann. Dies iſt die Methode der Unterſuchung, Bepruͤ- fung oder Kritik. Die polemiſche Method’ iſt die Laͤuterung, das Sterben, die Verwe- ſung in der Kenntniß, ehe wir zum Licht und Leben kommen. Die ſceptiſche Philoſophie iſt hievon verſchieden, von welcher wir oben loco congruo ſchon ein Woͤrtchen gewechſelt. Zweifeln und ſein Urtheil aufſchieben, iſt ſo unterſchieden, als vorurtheilen und nach- urtheilen. Hier Zweiter Th. Q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/249
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/249>, abgerufen am 23.11.2024.