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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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ter Gang. Der Schuß, wodurch er seinen
Sohn tödtete, sprengte sein Gewissen auf.
Knall und Fall paßte nicht blos auf seinen
Sohn, sondern auch auf seine Ruhe. Er
führt' an, daß er im Schuß den nemlichen
Knall gehört hätte, als im Donnerschlag, den
er überschrien, und den er zum gerechten
Zeugen für seine ehrliche Liebe zu Charlotten
aufgerufen! Die Molltöne hatten sein Herz
nicht erweichen können, so wie göttliche
Wohlthaten die wenigsten Menschen zu Gott
lenken. Es mußt' einschlagen, und nun
fielen die Schuppen von seinen Augen. Der
Schuß schleifte seine ganze Vestung.

Da stand er, und trauerte wie ein
Baum, dem ein brausend wüthender Angrif
des Sturms alle seine Blätter auf einmal
raubt, und ihn schnell ganz nackt auszieht.
-- Nun war ihm Charlottens Grab die ein-
zigste Zuflucht; hier sah er Charlotten und
seinen Sohn, der auf diesem Grab' oft ge-
spielt hatte. -- Was für ein schreckliches
Licht war ihm aufgeblitzt! Gott ist gerecht,
schrieb er, und alle seine Gerichte sind gerecht.
Seine Ausdrücke waren brennend. Sie gien-
gen durch Mark und Bein. Wie gern hätt'
er sein verpfändetes Wort eingelöset. Sein

Weib
G 2

ter Gang. Der Schuß, wodurch er ſeinen
Sohn toͤdtete, ſprengte ſein Gewiſſen auf.
Knall und Fall paßte nicht blos auf ſeinen
Sohn, ſondern auch auf ſeine Ruhe. Er
fuͤhrt’ an, daß er im Schuß den nemlichen
Knall gehoͤrt haͤtte, als im Donnerſchlag, den
er uͤberſchrien, und den er zum gerechten
Zeugen fuͤr ſeine ehrliche Liebe zu Charlotten
aufgerufen! Die Molltoͤne hatten ſein Herz
nicht erweichen koͤnnen, ſo wie goͤttliche
Wohlthaten die wenigſten Menſchen zu Gott
lenken. Es mußt’ einſchlagen, und nun
fielen die Schuppen von ſeinen Augen. Der
Schuß ſchleifte ſeine ganze Veſtung.

Da ſtand er, und trauerte wie ein
Baum, dem ein brauſend wuͤthender Angrif
des Sturms alle ſeine Blaͤtter auf einmal
raubt, und ihn ſchnell ganz nackt auszieht.
— Nun war ihm Charlottens Grab die ein-
zigſte Zuflucht; hier ſah er Charlotten und
ſeinen Sohn, der auf dieſem Grab’ oft ge-
ſpielt hatte. — Was fuͤr ein ſchreckliches
Licht war ihm aufgeblitzt! Gott iſt gerecht,
ſchrieb er, und alle ſeine Gerichte ſind gerecht.
Seine Ausdruͤcke waren brennend. Sie gien-
gen durch Mark und Bein. Wie gern haͤtt’
er ſein verpfaͤndetes Wort eingeloͤſet. Sein

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[99/0105] ter Gang. Der Schuß, wodurch er ſeinen Sohn toͤdtete, ſprengte ſein Gewiſſen auf. Knall und Fall paßte nicht blos auf ſeinen Sohn, ſondern auch auf ſeine Ruhe. Er fuͤhrt’ an, daß er im Schuß den nemlichen Knall gehoͤrt haͤtte, als im Donnerſchlag, den er uͤberſchrien, und den er zum gerechten Zeugen fuͤr ſeine ehrliche Liebe zu Charlotten aufgerufen! Die Molltoͤne hatten ſein Herz nicht erweichen koͤnnen, ſo wie goͤttliche Wohlthaten die wenigſten Menſchen zu Gott lenken. Es mußt’ einſchlagen, und nun fielen die Schuppen von ſeinen Augen. Der Schuß ſchleifte ſeine ganze Veſtung. Da ſtand er, und trauerte wie ein Baum, dem ein brauſend wuͤthender Angrif des Sturms alle ſeine Blaͤtter auf einmal raubt, und ihn ſchnell ganz nackt auszieht. — Nun war ihm Charlottens Grab die ein- zigſte Zuflucht; hier ſah er Charlotten und ſeinen Sohn, der auf dieſem Grab’ oft ge- ſpielt hatte. — Was fuͤr ein ſchreckliches Licht war ihm aufgeblitzt! Gott iſt gerecht, ſchrieb er, und alle ſeine Gerichte ſind gerecht. Seine Ausdruͤcke waren brennend. Sie gien- gen durch Mark und Bein. Wie gern haͤtt’ er ſein verpfaͤndetes Wort eingeloͤſet. Sein Weib G 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/105>, abgerufen am 27.11.2024.