Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Organist welches in Curland ein seltener Vo-
gel ist, oder als Schullehrer ankommen kön-
nen, so hatt' er jedennoch alles verbeten, in-
dem er glaubte daß er sich hiebey aus den Au-
gen setzen und zugleich allen Universitäten
einen Brandmark geben würde.

Die Kinder, so er erzog nahm er nicht
anders als bittweise an. Zwar that er sehr
unzufrieden, wenn er seine Zahl nicht voll-
ständig und seinen Lehrsaal nicht ganz besezt
hatte, inzwischen schien er nicht darum böse,
weil ihm keine Kinder in die Schule gebracht
wurden, sondern weil er nicht gebeten war,
sein täglich Brodt zu verdienen.

Er brachte freilich seinen ihm vertrauten
Kindern nicht viel bey, da er indessen mit,
für körperliche Uebungen war, konnt ihn
mein Vater leiden, obgleich er mich seinem
Unterrichte so wenig als meine Fey'rkleider
seiner Nadel anvertraute.

Da der alte Herr übrigens podagrische
Zufälle hatte, welche nach meiner Mutter
Meinung nur ein Edelmann und Literatus
haben könnte; da ferner der ehrliche Nico-
laus Herrmann vom
Zipperlein geplaget ge-
wesen, welches aus dem lezten Vers des Liedes

"Wenn
F 4

Organiſt welches in Curland ein ſeltener Vo-
gel iſt, oder als Schullehrer ankommen koͤn-
nen, ſo hatt’ er jedennoch alles verbeten, in-
dem er glaubte daß er ſich hiebey aus den Au-
gen ſetzen und zugleich allen Univerſitaͤten
einen Brandmark geben wuͤrde.

Die Kinder, ſo er erzog nahm er nicht
anders als bittweiſe an. Zwar that er ſehr
unzufrieden, wenn er ſeine Zahl nicht voll-
ſtaͤndig und ſeinen Lehrſaal nicht ganz beſezt
hatte, inzwiſchen ſchien er nicht darum boͤſe,
weil ihm keine Kinder in die Schule gebracht
wurden, ſondern weil er nicht gebeten war,
ſein taͤglich Brodt zu verdienen.

Er brachte freilich ſeinen ihm vertrauten
Kindern nicht viel bey, da er indeſſen mit,
fuͤr koͤrperliche Uebungen war, konnt ihn
mein Vater leiden, obgleich er mich ſeinem
Unterrichte ſo wenig als meine Fey’rkleider
ſeiner Nadel anvertraute.

Da der alte Herr uͤbrigens podagriſche
Zufaͤlle hatte, welche nach meiner Mutter
Meinung nur ein Edelmann und Literatus
haben koͤnnte; da ferner der ehrliche Nico-
laus Herrmann vom
Zipperlein geplaget ge-
weſen, welches aus dem lezten Vers des Liedes

„Wenn
F 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="85"/>
Organi&#x017F;t welches in Curland ein &#x017F;eltener Vo-<lb/>
gel i&#x017F;t, oder als Schullehrer ankommen ko&#x0364;n-<lb/>
nen, &#x017F;o hatt&#x2019; er jedennoch alles verbeten, in-<lb/>
dem er glaubte daß er &#x017F;ich hiebey aus den Au-<lb/>
gen &#x017F;etzen und zugleich allen Univer&#x017F;ita&#x0364;ten<lb/>
einen Brandmark geben wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Die Kinder, &#x017F;o er erzog nahm er nicht<lb/>
anders als bittwei&#x017F;e an. Zwar that er &#x017F;ehr<lb/>
unzufrieden, wenn er &#x017F;eine Zahl nicht voll-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig und &#x017F;einen Lehr&#x017F;aal nicht ganz be&#x017F;ezt<lb/>
hatte, inzwi&#x017F;chen &#x017F;chien er nicht darum bo&#x0364;&#x017F;e,<lb/>
weil ihm keine Kinder in die Schule gebracht<lb/>
wurden, &#x017F;ondern weil er nicht gebeten war,<lb/>
&#x017F;ein ta&#x0364;glich Brodt zu verdienen.</p><lb/>
        <p>Er brachte freilich &#x017F;einen ihm vertrauten<lb/>
Kindern nicht viel bey, da er inde&#x017F;&#x017F;en mit,<lb/>
fu&#x0364;r ko&#x0364;rperliche Uebungen war, konnt ihn<lb/>
mein Vater leiden, obgleich er mich &#x017F;einem<lb/>
Unterrichte &#x017F;o wenig als meine Fey&#x2019;rkleider<lb/>
&#x017F;einer Nadel anvertraute.</p><lb/>
        <p>Da der alte Herr u&#x0364;brigens podagri&#x017F;che<lb/>
Zufa&#x0364;lle hatte, welche nach meiner Mutter<lb/>
Meinung nur ein Edelmann und Literatus<lb/>
haben ko&#x0364;nnte; da ferner der ehrliche <hi rendition="#fr">Nico-<lb/>
laus Herrmann vom</hi> Zipperlein geplaget ge-<lb/>
we&#x017F;en, welches aus dem lezten Vers des Liedes<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 4</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">&#x201E;Wenn</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0093] Organiſt welches in Curland ein ſeltener Vo- gel iſt, oder als Schullehrer ankommen koͤn- nen, ſo hatt’ er jedennoch alles verbeten, in- dem er glaubte daß er ſich hiebey aus den Au- gen ſetzen und zugleich allen Univerſitaͤten einen Brandmark geben wuͤrde. Die Kinder, ſo er erzog nahm er nicht anders als bittweiſe an. Zwar that er ſehr unzufrieden, wenn er ſeine Zahl nicht voll- ſtaͤndig und ſeinen Lehrſaal nicht ganz beſezt hatte, inzwiſchen ſchien er nicht darum boͤſe, weil ihm keine Kinder in die Schule gebracht wurden, ſondern weil er nicht gebeten war, ſein taͤglich Brodt zu verdienen. Er brachte freilich ſeinen ihm vertrauten Kindern nicht viel bey, da er indeſſen mit, fuͤr koͤrperliche Uebungen war, konnt ihn mein Vater leiden, obgleich er mich ſeinem Unterrichte ſo wenig als meine Fey’rkleider ſeiner Nadel anvertraute. Da der alte Herr uͤbrigens podagriſche Zufaͤlle hatte, welche nach meiner Mutter Meinung nur ein Edelmann und Literatus haben koͤnnte; da ferner der ehrliche Nico- laus Herrmann vom Zipperlein geplaget ge- weſen, welches aus dem lezten Vers des Liedes „Wenn F 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/93
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/93>, abgerufen am 24.11.2024.