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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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wie eine Kirchenglocke: Sie konnte nicht
leugnen, daß die gemeinsten Letten, wenn
sie froh sind, weissagen oder in Versen reden,
und wenn sie das Gegentheil hätte behaup-
ten wollen, würd Herr Jachnis mit den lie-
ben Pastorats Angehörigen den Gegenbeweis
geführet haben. Herr Jachnis und seine
Untergebene ließen keine Erndte, keine Hoch-
zeit, keine Leichenwache vorüber wo nicht
geweißaget wurde. Bei allen Talcken oder
Tagesarbeiten, wo die Leute im Schweis
ihres Angesichts herrlich nach Lettischer Art
bewirthet wurden, bewiesen sie, daß sie poe-
tischen Geistes Kinder wären. Meine Mut-
ter fand dem Herrn Jachnis zum Haus-
kreuz, an dieser poetischen Blumenlese, die
ihr zugeeignet wurde beständig etwas zu rü-
gen und wenn's auch nur das J. und U. ge-
wesen wäre welches die Nothhelfer der Let-
ten sind, so offt's an einer Sylbe gebricht.

Es sind viele, welche behaupten, die Let-
ten hätten noch Spuren von Heldenliedern,
allein diesen vielen widerspricht mein Vater
"das Genie der Sprache, das Genie der
"Nation ist ein Schäfergenie. "Wenn
"sie gekrönt werden sollen ists ein Heu oder
"höchstens ein Kornkranz, der ihnen zuste-

"het.

wie eine Kirchenglocke: Sie konnte nicht
leugnen, daß die gemeinſten Letten, wenn
ſie froh ſind, weiſſagen oder in Verſen reden,
und wenn ſie das Gegentheil haͤtte behaup-
ten wollen, wuͤrd Herr Jachnis mit den lie-
ben Paſtorats Angehoͤrigen den Gegenbeweis
gefuͤhret haben. Herr Jachnis und ſeine
Untergebene ließen keine Erndte, keine Hoch-
zeit, keine Leichenwache voruͤber wo nicht
geweißaget wurde. Bei allen Talcken oder
Tagesarbeiten, wo die Leute im Schweis
ihres Angeſichts herrlich nach Lettiſcher Art
bewirthet wurden, bewieſen ſie, daß ſie poe-
tiſchen Geiſtes Kinder waͤren. Meine Mut-
ter fand dem Herrn Jachnis zum Haus-
kreuz, an dieſer poetiſchen Blumenleſe, die
ihr zugeeignet wurde beſtaͤndig etwas zu ruͤ-
gen und wenn’s auch nur das J. und U. ge-
weſen waͤre welches die Nothhelfer der Let-
ten ſind, ſo offt’s an einer Sylbe gebricht.

Es ſind viele, welche behaupten, die Let-
ten haͤtten noch Spuren von Heldenliedern,
allein dieſen vielen widerſpricht mein Vater
„das Genie der Sprache, das Genie der
„Nation iſt ein Schaͤfergenie. „Wenn
„ſie gekroͤnt werden ſollen iſts ein Heu oder
„hoͤchſtens ein Kornkranz, der ihnen zuſte-

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[73/0081] wie eine Kirchenglocke: Sie konnte nicht leugnen, daß die gemeinſten Letten, wenn ſie froh ſind, weiſſagen oder in Verſen reden, und wenn ſie das Gegentheil haͤtte behaup- ten wollen, wuͤrd Herr Jachnis mit den lie- ben Paſtorats Angehoͤrigen den Gegenbeweis gefuͤhret haben. Herr Jachnis und ſeine Untergebene ließen keine Erndte, keine Hoch- zeit, keine Leichenwache voruͤber wo nicht geweißaget wurde. Bei allen Talcken oder Tagesarbeiten, wo die Leute im Schweis ihres Angeſichts herrlich nach Lettiſcher Art bewirthet wurden, bewieſen ſie, daß ſie poe- tiſchen Geiſtes Kinder waͤren. Meine Mut- ter fand dem Herrn Jachnis zum Haus- kreuz, an dieſer poetiſchen Blumenleſe, die ihr zugeeignet wurde beſtaͤndig etwas zu ruͤ- gen und wenn’s auch nur das J. und U. ge- weſen waͤre welches die Nothhelfer der Let- ten ſind, ſo offt’s an einer Sylbe gebricht. Es ſind viele, welche behaupten, die Let- ten haͤtten noch Spuren von Heldenliedern, allein dieſen vielen widerſpricht mein Vater „das Genie der Sprache, das Genie der „Nation iſt ein Schaͤfergenie. „Wenn „ſie gekroͤnt werden ſollen iſts ein Heu oder „hoͤchſtens ein Kornkranz, der ihnen zuſte- „het.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/81>, abgerufen am 24.11.2024.