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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Auch sieht man aus der Sprache ob's im
Lande kalt oder warm neblicht oder klar sey --
Er gieng hier noch weiter, ich befürchte aber
meine Leser werden nicht weiter gehen wollen.
Bey abgeschiedenen Sprachen fuhr er fort,
tödtet der Buchstabe, der Geist aber machet
lebendig. Die Griechen nanndte er Kirchen-
väter der Natur und ihre Sprache den
Grundtext des Geschmacks. Wenn man uns
zugehöret hätte; würd' man uns für ein
paar Maurergesellen vom Thurm zu Babel
gehalten haben. Alles durcheinander und
doch alles in einander. Mein Vater nahm,
wenn er fremde Sprachen mit mir redete,
auch fremde Arten an, und das war mir
mehr als ein Lexicon, ich hatte für jede Spra-
che ein ander Gesicht eine andere Zunge eine
andere Hand, einen andren Fuß, und be-
sonders eine andre Nase. Worte mußte ich
lernen und er war nicht mit der Lehrart zu-
frieden bei Worten das Gedächtnis zu stützen
und sich Merkzeichen zu machen. Man hat
sagt' er alsdenn Bild und Wort zu behalten.
Ein Stammvater von Worten aber diente
mir zum Leitfaden bei tausend zum Nagel
im Kleiderschrank wo man zehnerlei aufhängt.
Ich lernte den Stammvater und wußte Sohn,

Enkel,
E 4

Auch ſieht man aus der Sprache ob’s im
Lande kalt oder warm neblicht oder klar ſey —
Er gieng hier noch weiter, ich befuͤrchte aber
meine Leſer werden nicht weiter gehen wollen.
Bey abgeſchiedenen Sprachen fuhr er fort,
toͤdtet der Buchſtabe, der Geiſt aber machet
lebendig. Die Griechen nanndte er Kirchen-
vaͤter der Natur und ihre Sprache den
Grundtext des Geſchmacks. Wenn man uns
zugehoͤret haͤtte; wuͤrd’ man uns fuͤr ein
paar Maurergeſellen vom Thurm zu Babel
gehalten haben. Alles durcheinander und
doch alles in einander. Mein Vater nahm,
wenn er fremde Sprachen mit mir redete,
auch fremde Arten an, und das war mir
mehr als ein Lexicon, ich hatte fuͤr jede Spra-
che ein ander Geſicht eine andere Zunge eine
andere Hand, einen andren Fuß, und be-
ſonders eine andre Naſe. Worte mußte ich
lernen und er war nicht mit der Lehrart zu-
frieden bei Worten das Gedaͤchtnis zu ſtuͤtzen
und ſich Merkzeichen zu machen. Man hat
ſagt’ er alsdenn Bild und Wort zu behalten.
Ein Stammvater von Worten aber diente
mir zum Leitfaden bei tauſend zum Nagel
im Kleiderſchrank wo man zehnerlei aufhaͤngt.
Ich lernte den Stammvater und wußte Sohn,

Enkel,
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[69/0077] Auch ſieht man aus der Sprache ob’s im Lande kalt oder warm neblicht oder klar ſey — Er gieng hier noch weiter, ich befuͤrchte aber meine Leſer werden nicht weiter gehen wollen. Bey abgeſchiedenen Sprachen fuhr er fort, toͤdtet der Buchſtabe, der Geiſt aber machet lebendig. Die Griechen nanndte er Kirchen- vaͤter der Natur und ihre Sprache den Grundtext des Geſchmacks. Wenn man uns zugehoͤret haͤtte; wuͤrd’ man uns fuͤr ein paar Maurergeſellen vom Thurm zu Babel gehalten haben. Alles durcheinander und doch alles in einander. Mein Vater nahm, wenn er fremde Sprachen mit mir redete, auch fremde Arten an, und das war mir mehr als ein Lexicon, ich hatte fuͤr jede Spra- che ein ander Geſicht eine andere Zunge eine andere Hand, einen andren Fuß, und be- ſonders eine andre Naſe. Worte mußte ich lernen und er war nicht mit der Lehrart zu- frieden bei Worten das Gedaͤchtnis zu ſtuͤtzen und ſich Merkzeichen zu machen. Man hat ſagt’ er alsdenn Bild und Wort zu behalten. Ein Stammvater von Worten aber diente mir zum Leitfaden bei tauſend zum Nagel im Kleiderſchrank wo man zehnerlei aufhaͤngt. Ich lernte den Stammvater und wußte Sohn, Enkel, E 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/77>, abgerufen am 24.11.2024.