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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Vater. Wir empfinden nichts, was nicht
sinnlich ist -- wer es sich gemächlich, als
Philosoph machen will, nennt dunckle Vor-
stellungen, Empfindungen, und anstatt sie
zu entwickeln, thut er seine Augen nicht auf,
sondern schlägt an seine Brust, und spricht:
ich empfinde!
Ich. Gott sey dem Sünder gnädig --
Herr v. G. Und barmherzig
Vater. Amen!
Herr v. G. Solch ein Empfinder kann
doch nicht mit Recht behaupten, ich soll ihm
nachempfinden --
Vater. Durch die Evidenz und öftere
Wiederhohlung der Vernunftideen werden
diese uns geläufiger, so, daß sie uns von selbst
anwandeln. Wir kennen sie im Dunkeln.
Diese Kette dunckler, hurtigfolgender Ideen,
nennen wir Empfindungen.
Herr v. G. Das laß ich gelten -- und
Ordnung, lieber Pastor?
Vater. Ordnung ist nur Mittel, an sich
hat sie keinen Werth. Es ist das Schweis-
tuch, worinn man das vergräbt, was man
erhalten hat. Es ist ein Bücherschranck mit
Glasthüren. Weiber müßen ordentlich seyn.
Reinlichkeit und Ordnung, oder die Entfer-
nung
Vater. Wir empfinden nichts, was nicht
ſinnlich iſt — wer es ſich gemaͤchlich, als
Philoſoph machen will, nennt dunckle Vor-
ſtellungen, Empfindungen, und anſtatt ſie
zu entwickeln, thut er ſeine Augen nicht auf,
ſondern ſchlaͤgt an ſeine Bruſt, und ſpricht:
ich empfinde!
Ich. Gott ſey dem Suͤnder gnaͤdig —
Herr v. G. Und barmherzig
Vater. Amen!
Herr v. G. Solch ein Empfinder kann
doch nicht mit Recht behaupten, ich ſoll ihm
nachempfinden —
Vater. Durch die Evidenz und oͤftere
Wiederhohlung der Vernunftideen werden
dieſe uns gelaͤufiger, ſo, daß ſie uns von ſelbſt
anwandeln. Wir kennen ſie im Dunkeln.
Dieſe Kette dunckler, hurtigfolgender Ideen,
nennen wir Empfindungen.
Herr v. G. Das laß ich gelten — und
Ordnung, lieber Paſtor?
Vater. Ordnung iſt nur Mittel, an ſich
hat ſie keinen Werth. Es iſt das Schweis-
tuch, worinn man das vergraͤbt, was man
erhalten hat. Es iſt ein Buͤcherſchranck mit
Glasthuͤren. Weiber muͤßen ordentlich ſeyn.
Reinlichkeit und Ordnung, oder die Entfer-
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[410/0422] Vater. Wir empfinden nichts, was nicht ſinnlich iſt — wer es ſich gemaͤchlich, als Philoſoph machen will, nennt dunckle Vor- ſtellungen, Empfindungen, und anſtatt ſie zu entwickeln, thut er ſeine Augen nicht auf, ſondern ſchlaͤgt an ſeine Bruſt, und ſpricht: ich empfinde! Ich. Gott ſey dem Suͤnder gnaͤdig — Herr v. G. Und barmherzig Vater. Amen! Herr v. G. Solch ein Empfinder kann doch nicht mit Recht behaupten, ich ſoll ihm nachempfinden — Vater. Durch die Evidenz und oͤftere Wiederhohlung der Vernunftideen werden dieſe uns gelaͤufiger, ſo, daß ſie uns von ſelbſt anwandeln. Wir kennen ſie im Dunkeln. Dieſe Kette dunckler, hurtigfolgender Ideen, nennen wir Empfindungen. Herr v. G. Das laß ich gelten — und Ordnung, lieber Paſtor? Vater. Ordnung iſt nur Mittel, an ſich hat ſie keinen Werth. Es iſt das Schweis- tuch, worinn man das vergraͤbt, was man erhalten hat. Es iſt ein Buͤcherſchranck mit Glasthuͤren. Weiber muͤßen ordentlich ſeyn. Reinlichkeit und Ordnung, oder die Entfer- nung

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/422>, abgerufen am 02.09.2024.