die Menschen Methusalems Alter erreichen könnten; würde man mit Gewißheit sehr frühe behaupten können, wer gewis hängen würde. Kluge Leute lesen ihre Briefe von hinten. Singe an deinem Geburtstage Neu- jahrslieder; sie haben was tröstliches in sich. So wie der Geitz seinen eigenen Händen nicht trauet, so trauet auch der Kluge seiner Ver- nunft nicht. Ein Bettler gab einem andern die Lehre: sprich keinen an, der allein gehet. Gehen zwey, geben beyde. Wäre Jeder allein gegangen, hätte keiner gegeben. Die unge- färbte Menschenliebe ist erkältet, und Stolz führt bey der Gabe die Hand. Der Weg zum Himmel ist mit lauter gutem Willen ge- pflastert. Guter Wille gilt bey Gott und al- len ehrlichen Leuten so viel als die That. Zwinge dich nicht ohne Geld auszugehen, das heißt, aus einem guten ein schlechter Mensch werden wollen. Gib mit der Rechten ohne, daß es die Linke weiß, und sieh nicht wie man's nimmt. Es ist schwer, gut zu geben, noch schwerer aber, gut zu nehmen. Tausche gegen einen Pfeifenkopf nichts was Leben und Othem hat. Thiere, sagt dein Vater, sind unsre Grenznachbaren. Der Gerechte erbarmet sich auch seines Viehes. Pflanze
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die Menſchen Methuſalems Alter erreichen koͤnnten; wuͤrde man mit Gewißheit ſehr fruͤhe behaupten koͤnnen, wer gewis haͤngen wuͤrde. Kluge Leute leſen ihre Briefe von hinten. Singe an deinem Geburtstage Neu- jahrslieder; ſie haben was troͤſtliches in ſich. So wie der Geitz ſeinen eigenen Haͤnden nicht trauet, ſo trauet auch der Kluge ſeiner Ver- nunft nicht. Ein Bettler gab einem andern die Lehre: ſprich keinen an, der allein gehet. Gehen zwey, geben beyde. Waͤre Jeder allein gegangen, haͤtte keiner gegeben. Die unge- faͤrbte Menſchenliebe iſt erkaͤltet, und Stolz fuͤhrt bey der Gabe die Hand. Der Weg zum Himmel iſt mit lauter gutem Willen ge- pflaſtert. Guter Wille gilt bey Gott und al- len ehrlichen Leuten ſo viel als die That. Zwinge dich nicht ohne Geld auszugehen, das heißt, aus einem guten ein ſchlechter Menſch werden wollen. Gib mit der Rechten ohne, daß es die Linke weiß, und ſieh nicht wie man’s nimmt. Es iſt ſchwer, gut zu geben, noch ſchwerer aber, gut zu nehmen. Tauſche gegen einen Pfeifenkopf nichts was Leben und Othem hat. Thiere, ſagt dein Vater, ſind unſre Grenznachbaren. Der Gerechte erbarmet ſich auch ſeines Viehes. Pflanze
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die Menſchen Methuſalems Alter erreichen
koͤnnten; wuͤrde man mit Gewißheit ſehr
fruͤhe behaupten koͤnnen, wer gewis haͤngen
wuͤrde. Kluge Leute leſen ihre Briefe von
hinten. Singe an deinem Geburtstage Neu-
jahrslieder; ſie haben was troͤſtliches in ſich.
So wie der Geitz ſeinen eigenen Haͤnden nicht
trauet, ſo trauet auch der Kluge ſeiner Ver-
nunft nicht. Ein Bettler gab einem andern
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Gehen zwey, geben beyde. Waͤre Jeder allein
gegangen, haͤtte keiner gegeben. Die unge-
faͤrbte Menſchenliebe iſt erkaͤltet, und Stolz
fuͤhrt bey der Gabe die Hand. Der Weg
zum Himmel iſt mit lauter gutem Willen ge-
pflaſtert. Guter Wille gilt bey Gott und al-
len ehrlichen Leuten ſo viel als die That.
Zwinge dich nicht ohne Geld auszugehen, das
heißt, aus einem guten ein ſchlechter Menſch
werden wollen. Gib mit der Rechten ohne,
daß es die Linke weiß, und ſieh nicht wie
man’s nimmt. Es iſt ſchwer, gut zu geben,
noch ſchwerer aber, gut zu nehmen. Tauſche
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/349>, abgerufen am 22.11.2024.
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