Leute, die die Sünde aus ihrem Fleische, wie den Staub aus ihren Kleidern herausklo- pfen und sich casteyen, kennen den inwendi- gen Menschen nicht. Verse zu machen, mein Kind! ist ein probates Mittel wider die Erbsünde und die böse Fleischeslüste, die man blos durch Seelenmotion dämpfen kann. Es müßen die Verse aber gereimt, im Schweis des Angesichts erarbeitet oder erjagt seyn. Dein Vater sagt, im Reimwörterbuch nach- schlagen, heißt hezzen. Weg mit den Hunden; allein wo ist ein Jäger ohne Hunde? Ein Mensch der die schmutzigsten Verse schreibt, wenn sie ihm wohlgerathen, läuft ihnen wie den unkeuschen Dirnen nach, die er besungen hat. Jammer und Schade um die Poesie! Sonst aber für jedes eine Reihe, für den Ver- stand eine, und für den Reim auch eine. Gib dem Verstande, was des Verstandes, und dem Reim, was des Reims ist. Dichter probirt man wie Erdenzeug durchs Klingen. Kein großer Sänger singt, wenn er in Gedancken ist: Wie es die meisten thun, die nicht große Sänger und große Philosophen sind. Die letztern reden mit sich selbst, und machen mit der rechten Hand eine Bewegung. Dichter pfeifen. Dein Vater. Nationen, die singend
reden,
Leute, die die Suͤnde aus ihrem Fleiſche, wie den Staub aus ihren Kleidern herausklo- pfen und ſich caſteyen, kennen den inwendi- gen Menſchen nicht. Verſe zu machen, mein Kind! iſt ein probates Mittel wider die Erbſuͤnde und die boͤſe Fleiſchesluͤſte, die man blos durch Seelenmotion daͤmpfen kann. Es muͤßen die Verſe aber gereimt, im Schweis des Angeſichts erarbeitet oder erjagt ſeyn. Dein Vater ſagt, im Reimwoͤrterbuch nach- ſchlagen, heißt hezzen. Weg mit den Hunden; allein wo iſt ein Jaͤger ohne Hunde? Ein Menſch der die ſchmutzigſten Verſe ſchreibt, wenn ſie ihm wohlgerathen, laͤuft ihnen wie den unkeuſchen Dirnen nach, die er beſungen hat. Jammer und Schade um die Poeſie! Sonſt aber fuͤr jedes eine Reihe, fuͤr den Ver- ſtand eine, und fuͤr den Reim auch eine. Gib dem Verſtande, was des Verſtandes, und dem Reim, was des Reims iſt. Dichter probirt man wie Erdenzeug durchs Klingen. Kein großer Saͤnger ſingt, wenn er in Gedancken iſt: Wie es die meiſten thun, die nicht große Saͤnger und große Philoſophen ſind. Die letztern reden mit ſich ſelbſt, und machen mit der rechten Hand eine Bewegung. Dichter pfeifen. Dein Vater. Nationen, die ſingend
reden,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0316"n="304"/>
Leute, die die Suͤnde aus ihrem Fleiſche, wie<lb/>
den Staub aus ihren Kleidern herausklo-<lb/>
pfen und ſich caſteyen, kennen den inwendi-<lb/>
gen Menſchen nicht. Verſe zu machen, mein<lb/>
Kind! iſt ein probates Mittel wider die<lb/>
Erbſuͤnde und die boͤſe Fleiſchesluͤſte, die man<lb/>
blos durch Seelenmotion daͤmpfen kann. Es<lb/>
muͤßen die Verſe aber gereimt, im Schweis<lb/>
des Angeſichts erarbeitet oder erjagt ſeyn.<lb/>
Dein Vater ſagt, im Reimwoͤrterbuch nach-<lb/>ſchlagen, heißt hezzen. Weg mit den Hunden;<lb/>
allein wo iſt ein Jaͤger ohne Hunde? Ein<lb/>
Menſch der die ſchmutzigſten Verſe ſchreibt,<lb/>
wenn ſie ihm wohlgerathen, laͤuft ihnen wie<lb/>
den unkeuſchen Dirnen nach, die er beſungen<lb/>
hat. Jammer und Schade um die Poeſie!<lb/>
Sonſt aber fuͤr jedes eine Reihe, fuͤr den Ver-<lb/>ſtand eine, und fuͤr den Reim auch eine. Gib<lb/>
dem Verſtande, was des Verſtandes, und dem<lb/>
Reim, was des Reims iſt. Dichter probirt<lb/>
man wie Erdenzeug durchs Klingen. Kein<lb/>
großer Saͤnger ſingt, wenn er in Gedancken<lb/>
iſt: Wie es die meiſten thun, die nicht große<lb/>
Saͤnger und große Philoſophen ſind. Die<lb/>
letztern reden mit ſich ſelbſt, und machen mit<lb/>
der rechten Hand eine Bewegung. Dichter<lb/>
pfeifen. <hirendition="#fr">Dein Vater.</hi> Nationen, die ſingend<lb/><fwplace="bottom"type="catch">reden,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[304/0316]
Leute, die die Suͤnde aus ihrem Fleiſche, wie
den Staub aus ihren Kleidern herausklo-
pfen und ſich caſteyen, kennen den inwendi-
gen Menſchen nicht. Verſe zu machen, mein
Kind! iſt ein probates Mittel wider die
Erbſuͤnde und die boͤſe Fleiſchesluͤſte, die man
blos durch Seelenmotion daͤmpfen kann. Es
muͤßen die Verſe aber gereimt, im Schweis
des Angeſichts erarbeitet oder erjagt ſeyn.
Dein Vater ſagt, im Reimwoͤrterbuch nach-
ſchlagen, heißt hezzen. Weg mit den Hunden;
allein wo iſt ein Jaͤger ohne Hunde? Ein
Menſch der die ſchmutzigſten Verſe ſchreibt,
wenn ſie ihm wohlgerathen, laͤuft ihnen wie
den unkeuſchen Dirnen nach, die er beſungen
hat. Jammer und Schade um die Poeſie!
Sonſt aber fuͤr jedes eine Reihe, fuͤr den Ver-
ſtand eine, und fuͤr den Reim auch eine. Gib
dem Verſtande, was des Verſtandes, und dem
Reim, was des Reims iſt. Dichter probirt
man wie Erdenzeug durchs Klingen. Kein
großer Saͤnger ſingt, wenn er in Gedancken
iſt: Wie es die meiſten thun, die nicht große
Saͤnger und große Philoſophen ſind. Die
letztern reden mit ſich ſelbſt, und machen mit
der rechten Hand eine Bewegung. Dichter
pfeifen. Dein Vater. Nationen, die ſingend
reden,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/316>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.