Das Gebet vor Tische, welches dreymal so lang war, als leider! das unsrige ist, betete meine Mutter ungewöhnlich laut mit, und das war schon immer ein gutes Zeichen, denn wenn sie das ganze Haus beynahe in einander ge- worfen hatte; betete sie am lautsten und inbrün- stigsten, als wenn sie hiemit den Himmel ver- söhnen wolte, und alsdenn war es alles wie abgeschnitten. Dieser ihrer Gemüthsruhe be- diente sich mein Vater, deinem Vater eine Lob- rede zu halten: Sie gab kein Wort darauf.
Auf einmal fing sie von selbst an: Er liebt zu sehr, als daß er sie verlassen solte, und man sehe sie, wer kann dreißig seyn, ohne stehen zu bleiben und sie zu lieben (Gott hatte mich schön gebildet, wie es noch am Tage ist) Wie gerad sie sich hält fuhr deine seelige Großmutter fort, welche feine Arten! er wird sich besin- nen und sagen, von wannen er kommt? Es ist ein sehr geschickter, feiner Mann. Man kann mit Wahrheit sagen, das Hebräische ausgenommen, dein Geist, lieber Mann, ruhe zwiefach auf ihm. Du Elias, er Elisa. Ich hatte diesen Gedanken gleich, da du ihm deinen alten Mantel verkauftest.
Denck das nicht, mein Kind! sagte dein seeliger Grosvater, der übern Namen Elias
sich
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Das Gebet vor Tiſche, welches dreymal ſo lang war, als leider! das unſrige iſt, betete meine Mutter ungewoͤhnlich laut mit, und das war ſchon immer ein gutes Zeichen, denn wenn ſie das ganze Haus beynahe in einander ge- worfen hatte; betete ſie am lautſten und inbruͤn- ſtigſten, als wenn ſie hiemit den Himmel ver- ſoͤhnen wolte, und alsdenn war es alles wie abgeſchnitten. Dieſer ihrer Gemuͤthsruhe be- diente ſich mein Vater, deinem Vater eine Lob- rede zu halten: Sie gab kein Wort darauf.
Auf einmal fing ſie von ſelbſt an: Er liebt zu ſehr, als daß er ſie verlaſſen ſolte, und man ſehe ſie, wer kann dreißig ſeyn, ohne ſtehen zu bleiben und ſie zu lieben (Gott hatte mich ſchoͤn gebildet, wie es noch am Tage iſt) Wie gerad ſie ſich haͤlt fuhr deine ſeelige Großmutter fort, welche feine Arten! er wird ſich beſin- nen und ſagen, von wannen er kommt? Es iſt ein ſehr geſchickter, feiner Mann. Man kann mit Wahrheit ſagen, das Hebraͤiſche ausgenommen, dein Geiſt, lieber Mann, ruhe zwiefach auf ihm. Du Elias, er Eliſa. Ich hatte dieſen Gedanken gleich, da du ihm deinen alten Mantel verkaufteſt.
Denck das nicht, mein Kind! ſagte dein ſeeliger Grosvater, der uͤbern Namen Elias
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Das Gebet vor Tiſche, welches dreymal ſo
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meine Mutter ungewoͤhnlich laut mit, und das
war ſchon immer ein gutes Zeichen, denn wenn
ſie das ganze Haus beynahe in einander ge-
worfen hatte; betete ſie am lautſten und inbruͤn-
ſtigſten, als wenn ſie hiemit den Himmel ver-
ſoͤhnen wolte, und alsdenn war es alles wie
abgeſchnitten. Dieſer ihrer Gemuͤthsruhe be-
diente ſich mein Vater, deinem Vater eine Lob-
rede zu halten: Sie gab kein Wort darauf.
Auf einmal fing ſie von ſelbſt an: Er liebt
zu ſehr, als daß er ſie verlaſſen ſolte, und man
ſehe ſie, wer kann dreißig ſeyn, ohne ſtehen zu
bleiben und ſie zu lieben (Gott hatte mich ſchoͤn
gebildet, wie es noch am Tage iſt) Wie gerad
ſie ſich haͤlt fuhr deine ſeelige Großmutter
fort, welche feine Arten! er wird ſich beſin-
nen und ſagen, von wannen er kommt? Es
iſt ein ſehr geſchickter, feiner Mann. Man
kann mit Wahrheit ſagen, das Hebraͤiſche
ausgenommen, dein Geiſt, lieber Mann,
ruhe zwiefach auf ihm. Du Elias, er Eliſa.
Ich hatte dieſen Gedanken gleich, da du ihm
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/283>, abgerufen am 24.11.2024.
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