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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Ich versicherte meine Mutter, die sonst
Stationes liebte, daß ich diese Geschichte zur
Noth wüßte; allein sie hatte, wie meine Leser
es ohne Fingerzeig, so gut wie ich, mercken
werden, auf ihren Vortrag studirt. Bring
mich nicht aus der Melodie, antwortete sie:
dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins
Bockshorn gejagt. Sonst pflegten hahn und
lahn und stahn meine Busenwörter zu seyn --
jetzt muß ich genau auf die Noten sehen, um
nicht aus der Weise zu kommen.

Sein guter Freund -- des Policrates
nehmlich -- den das Glück seines Freundes
nicht eifersichtig, sondern besorgt machte, bat
ihn sehr, er möchte doch Brunnenkreß zum
Rehbraten eßen, und nur etwas weniges
sein Leben verbittern. Polycrates wirft sei-
nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen
fähet ein Fischer einen ungewöhnlich gro-
ßen Fisch, verehrt ihn dem Hofe und der
Koch findet den Ring. Der gute Freund,
der ihm gerathen sich unglücklich zu machen,
kündigt ihm nach diesem Vorfall seine Freund-
schaft auf, weil er keinen so glücklichen
Freund haben wolte, indem er ein so großes
Unglück für ihn befürchtete, daß er ihm nicht
würde beystehen können. So gesagt so ge-

schehen.

Ich verſicherte meine Mutter, die ſonſt
Stationes liebte, daß ich dieſe Geſchichte zur
Noth wuͤßte; allein ſie hatte, wie meine Leſer
es ohne Fingerzeig, ſo gut wie ich, mercken
werden, auf ihren Vortrag ſtudirt. Bring
mich nicht aus der Melodie, antwortete ſie:
dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins
Bockshorn gejagt. Sonſt pflegten hahn und
lahn und ſtahn meine Buſenwoͤrter zu ſeyn —
jetzt muß ich genau auf die Noten ſehen, um
nicht aus der Weiſe zu kommen.

Sein guter Freund — des Policrates
nehmlich — den das Gluͤck ſeines Freundes
nicht eiferſichtig, ſondern beſorgt machte, bat
ihn ſehr, er moͤchte doch Brunnenkreß zum
Rehbraten eßen, und nur etwas weniges
ſein Leben verbittern. Polycrates wirft ſei-
nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen
faͤhet ein Fiſcher einen ungewoͤhnlich gro-
ßen Fiſch, verehrt ihn dem Hofe und der
Koch findet den Ring. Der gute Freund,
der ihm gerathen ſich ungluͤcklich zu machen,
kuͤndigt ihm nach dieſem Vorfall ſeine Freund-
ſchaft auf, weil er keinen ſo gluͤcklichen
Freund haben wolte, indem er ein ſo großes
Ungluͤck fuͤr ihn befuͤrchtete, daß er ihm nicht
wuͤrde beyſtehen koͤnnen. So geſagt ſo ge-

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[265/0277] Ich verſicherte meine Mutter, die ſonſt Stationes liebte, daß ich dieſe Geſchichte zur Noth wuͤßte; allein ſie hatte, wie meine Leſer es ohne Fingerzeig, ſo gut wie ich, mercken werden, auf ihren Vortrag ſtudirt. Bring mich nicht aus der Melodie, antwortete ſie: dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins Bockshorn gejagt. Sonſt pflegten hahn und lahn und ſtahn meine Buſenwoͤrter zu ſeyn — jetzt muß ich genau auf die Noten ſehen, um nicht aus der Weiſe zu kommen. Sein guter Freund — des Policrates nehmlich — den das Gluͤck ſeines Freundes nicht eiferſichtig, ſondern beſorgt machte, bat ihn ſehr, er moͤchte doch Brunnenkreß zum Rehbraten eßen, und nur etwas weniges ſein Leben verbittern. Polycrates wirft ſei- nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen faͤhet ein Fiſcher einen ungewoͤhnlich gro- ßen Fiſch, verehrt ihn dem Hofe und der Koch findet den Ring. Der gute Freund, der ihm gerathen ſich ungluͤcklich zu machen, kuͤndigt ihm nach dieſem Vorfall ſeine Freund- ſchaft auf, weil er keinen ſo gluͤcklichen Freund haben wolte, indem er ein ſo großes Ungluͤck fuͤr ihn befuͤrchtete, daß er ihm nicht wuͤrde beyſtehen koͤnnen. So geſagt ſo ge- ſchehen.

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/277>, abgerufen am 24.11.2024.