abstreift, um ihr Luft zu machen, und die Blume, die der Sturm wie eine Wittwe beugt, mit tröstender Hand aufrichtet, damit sie so wie ihr selbst gen Himmel sähe, Euch, die mein Vater Seher, von Gott Angehauchte! nennen würde; Euch! die ihr höret und sehet, was viele mit offnen Augen nicht sehen, mit offnen Ohren nicht hören, schreib ich diese Briefe zu. Schützt sie wider Hof und Stadtleute, die Ach und Weh über sie krei- schen, wider die Schwätzer und Trunkenbolde in der Liebe, die gewohnt an italienische Mu- sik, kein Schäfchen blöcken, keine Nachtigall schlagen, keine Biene schwärmen, keinen Käfer brausen hören können.
Es war einen Sonnabend -- wie hätt es wohl ein andrer Tag seyn können? da mich meine Mutter bey der rechten Hand nahm, welche sie die Auserwählte zu nennen pflegte, und sich folgender Gestalt verlauten ließ: Mein Sohn, heute König, morgen todt. Es ist leicht möglich, daß wenn deine Noviciats- jahre geendiget sind, und du dich zu Able- gung der heiligen Gelübde nach Curland zu den Altären deiner Väter mütterlicher Seits
einfin-
abſtreift, um ihr Luft zu machen, und die Blume, die der Sturm wie eine Wittwe beugt, mit troͤſtender Hand aufrichtet, damit ſie ſo wie ihr ſelbſt gen Himmel ſaͤhe, Euch, die mein Vater Seher, von Gott Angehauchte! nennen wuͤrde; Euch! die ihr hoͤret und ſehet, was viele mit offnen Augen nicht ſehen, mit offnen Ohren nicht hoͤren, ſchreib ich dieſe Briefe zu. Schuͤtzt ſie wider Hof und Stadtleute, die Ach und Weh uͤber ſie krei- ſchen, wider die Schwaͤtzer und Trunkenbolde in der Liebe, die gewohnt an italieniſche Mu- ſik, kein Schaͤfchen bloͤcken, keine Nachtigall ſchlagen, keine Biene ſchwaͤrmen, keinen Kaͤfer brauſen hoͤren koͤnnen.
Es war einen Sonnabend — wie haͤtt es wohl ein andrer Tag ſeyn koͤnnen? da mich meine Mutter bey der rechten Hand nahm, welche ſie die Auserwaͤhlte zu nennen pflegte, und ſich folgender Geſtalt verlauten ließ: Mein Sohn, heute Koͤnig, morgen todt. Es iſt leicht moͤglich, daß wenn deine Noviciats- jahre geendiget ſind, und du dich zu Able- gung der heiligen Geluͤbde nach Curland zu den Altaͤren deiner Vaͤter muͤtterlicher Seits
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abſtreift, um ihr Luft zu machen, und die
Blume, die der Sturm wie eine Wittwe beugt,
mit troͤſtender Hand aufrichtet, damit ſie ſo
wie ihr ſelbſt gen Himmel ſaͤhe, Euch, die
mein Vater Seher, von Gott Angehauchte!
nennen wuͤrde; Euch! die ihr hoͤret und ſehet,
was viele mit offnen Augen nicht ſehen, mit
offnen Ohren nicht hoͤren, ſchreib ich dieſe
Briefe zu. Schuͤtzt ſie wider Hof und
Stadtleute, die Ach und Weh uͤber ſie krei-
ſchen, wider die Schwaͤtzer und Trunkenbolde
in der Liebe, die gewohnt an italieniſche Mu-
ſik, kein Schaͤfchen bloͤcken, keine Nachtigall
ſchlagen, keine Biene ſchwaͤrmen, keinen
Kaͤfer brauſen hoͤren koͤnnen.
Es war einen Sonnabend — wie haͤtt
es wohl ein andrer Tag ſeyn koͤnnen? da mich
meine Mutter bey der rechten Hand nahm,
welche ſie die Auserwaͤhlte zu nennen pflegte,
und ſich folgender Geſtalt verlauten ließ:
Mein Sohn, heute Koͤnig, morgen todt. Es
iſt leicht moͤglich, daß wenn deine Noviciats-
jahre geendiget ſind, und du dich zu Able-
gung der heiligen Geluͤbde nach Curland zu
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/265>, abgerufen am 24.11.2024.
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