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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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mir so, als wenn ich meine Mutter sterben
sehe, und doch wirst du wieder kommen und
dein Weib bekennen vor den Menschen.
Gott helf uns dieses Bekenntnis vor dem
Altar ablegen, wo wir ehemals unser Glau-
bensbekenntnis gen Himmel ablegten. Du
mußt auf eine Universität, das hast du mir
bewiesen, also geh hin -- Ich werd dir noch
viel, viel mitgeben, daß du dich meiner erinn-
ren kannst! -- Du armer Junge! ich be-
halte doch mehr zurück. Dein Vater hat
deine Finger, als wenn ich sie sehe. Wie
werd ich darnach blicken, selbst wenn er mir
die Hand beym Beichtstuhl auflegen wird,
selbst da werd ich an deine Hand dencken.
Das ist keine neue Sünde. Was behalt ich
nicht noch mehr! Alle die Oerter, wo du
giengst, wo du kamst. Wo Alexander siegte,
wo ich deine Gefangene war, wo unsre Au-
gen einen Bund machten. Den Altar, wo
wir getraut wurden! Den Ort, wo wir Con-
cert hielten! wo du offt, offt mich zusammen-
nahmst und küßtest, und wo ich dir durch
einen bescheidnen Kuß für deinen heftigen
danckte, wo wir uns freuten, daß es Früh-
ling war, und das erste Veilchen, die erste gelbe
Blume, den ersten Schmetterling bewillkomm-

ten

mir ſo, als wenn ich meine Mutter ſterben
ſehe, und doch wirſt du wieder kommen und
dein Weib bekennen vor den Menſchen.
Gott helf uns dieſes Bekenntnis vor dem
Altar ablegen, wo wir ehemals unſer Glau-
bensbekenntnis gen Himmel ablegten. Du
mußt auf eine Univerſitaͤt, das haſt du mir
bewieſen, alſo geh hin — Ich werd dir noch
viel, viel mitgeben, daß du dich meiner erinn-
ren kannſt! — Du armer Junge! ich be-
halte doch mehr zuruͤck. Dein Vater hat
deine Finger, als wenn ich ſie ſehe. Wie
werd ich darnach blicken, ſelbſt wenn er mir
die Hand beym Beichtſtuhl auflegen wird,
ſelbſt da werd ich an deine Hand dencken.
Das iſt keine neue Suͤnde. Was behalt ich
nicht noch mehr! Alle die Oerter, wo du
giengſt, wo du kamſt. Wo Alexander ſiegte,
wo ich deine Gefangene war, wo unſre Au-
gen einen Bund machten. Den Altar, wo
wir getraut wurden! Den Ort, wo wir Con-
cert hielten! wo du offt, offt mich zuſammen-
nahmſt und kuͤßteſt, und wo ich dir durch
einen beſcheidnen Kuß fuͤr deinen heftigen
danckte, wo wir uns freuten, daß es Fruͤh-
ling war, und das erſte Veilchen, die erſte gelbe
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[246/0258] mir ſo, als wenn ich meine Mutter ſterben ſehe, und doch wirſt du wieder kommen und dein Weib bekennen vor den Menſchen. Gott helf uns dieſes Bekenntnis vor dem Altar ablegen, wo wir ehemals unſer Glau- bensbekenntnis gen Himmel ablegten. Du mußt auf eine Univerſitaͤt, das haſt du mir bewieſen, alſo geh hin — Ich werd dir noch viel, viel mitgeben, daß du dich meiner erinn- ren kannſt! — Du armer Junge! ich be- halte doch mehr zuruͤck. Dein Vater hat deine Finger, als wenn ich ſie ſehe. Wie werd ich darnach blicken, ſelbſt wenn er mir die Hand beym Beichtſtuhl auflegen wird, ſelbſt da werd ich an deine Hand dencken. Das iſt keine neue Suͤnde. Was behalt ich nicht noch mehr! Alle die Oerter, wo du giengſt, wo du kamſt. Wo Alexander ſiegte, wo ich deine Gefangene war, wo unſre Au- gen einen Bund machten. Den Altar, wo wir getraut wurden! Den Ort, wo wir Con- cert hielten! wo du offt, offt mich zuſammen- nahmſt und kuͤßteſt, und wo ich dir durch einen beſcheidnen Kuß fuͤr deinen heftigen danckte, wo wir uns freuten, daß es Fruͤh- ling war, und das erſte Veilchen, die erſte gelbe Blume, den erſten Schmetterling bewillkomm- ten

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/258>, abgerufen am 23.11.2024.