Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.So bald ich ins Zimmer trat artete ihr Hätten Sie sie sterben gesehen! Einen Ich
So bald ich ins Zimmer trat artete ihr Haͤtten Sie ſie ſterben geſehen! Einen Ich
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0232" n="222"/> <p>So bald ich ins Zimmer trat artete ihr<lb/> Schmerz in Kunſt aus. Sie veraͤdelte ihre<lb/> erſte natuͤrlichen Aufwallungen; Sie ſchrie<lb/> nicht aus: ſie ſeufzte nur ein ſanftes Ach!<lb/> Sie weinte zwar; allein ſie ſchlugzte nicht,<lb/> Sie goß nicht Thraͤnen ſie taute ſie nur, ſie<lb/> rang nicht mehr die Haͤnde ſie faltete ſie.<lb/> Sie bedaurete ihre Mutter, allein ſie war<lb/> bemuͤht dabey auch ihrem Vielgetreuen zu<lb/> gefallen. Im allererſten Affekt haͤtt ich die-<lb/> ſes vielleicht nicht uͤber ſie erreicht, jetzt aber<lb/> opferte ſie mir ihren Schmerz auf. Sie ver-<lb/> ließ ihre Mutter um an mir zu hangen. Alle<lb/> poetiſchen Uebel geben der Liebe Zuwachs.<lb/> Ein Maͤdchen das einen Braͤutigam hat, kann<lb/> unmoͤglich uͤber den Tod ihrer Mutter anders<lb/> als dichteriſch betruͤbt ſeyn. Ihr Schmerz<lb/> iſt ein ſchoͤner Schmerz. Sie uͤberſezt den<lb/> Schmerz wenn ich ſo ſagen ſoll in wohlklin-<lb/> gende Verſe: Alles was ſie that gehoͤrte der<lb/> Seeligen und mir zur Helfte.</p><lb/> <p>Haͤtten Sie ſie ſterben geſehen! Einen<lb/> Gruß uͤber den andern an Sie. Sie ging<lb/> ſo ſchoͤn wie die Sonne unter, ich haͤtt was<lb/> drum gegeben, wenn ſie dieſe untergehende<lb/> Sonne noch beſchienen haͤtte. Gewis haben<lb/> Sie ihrem Geiſt begegnet —</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ich</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [222/0232]
So bald ich ins Zimmer trat artete ihr
Schmerz in Kunſt aus. Sie veraͤdelte ihre
erſte natuͤrlichen Aufwallungen; Sie ſchrie
nicht aus: ſie ſeufzte nur ein ſanftes Ach!
Sie weinte zwar; allein ſie ſchlugzte nicht,
Sie goß nicht Thraͤnen ſie taute ſie nur, ſie
rang nicht mehr die Haͤnde ſie faltete ſie.
Sie bedaurete ihre Mutter, allein ſie war
bemuͤht dabey auch ihrem Vielgetreuen zu
gefallen. Im allererſten Affekt haͤtt ich die-
ſes vielleicht nicht uͤber ſie erreicht, jetzt aber
opferte ſie mir ihren Schmerz auf. Sie ver-
ließ ihre Mutter um an mir zu hangen. Alle
poetiſchen Uebel geben der Liebe Zuwachs.
Ein Maͤdchen das einen Braͤutigam hat, kann
unmoͤglich uͤber den Tod ihrer Mutter anders
als dichteriſch betruͤbt ſeyn. Ihr Schmerz
iſt ein ſchoͤner Schmerz. Sie uͤberſezt den
Schmerz wenn ich ſo ſagen ſoll in wohlklin-
gende Verſe: Alles was ſie that gehoͤrte der
Seeligen und mir zur Helfte.
Haͤtten Sie ſie ſterben geſehen! Einen
Gruß uͤber den andern an Sie. Sie ging
ſo ſchoͤn wie die Sonne unter, ich haͤtt was
drum gegeben, wenn ſie dieſe untergehende
Sonne noch beſchienen haͤtte. Gewis haben
Sie ihrem Geiſt begegnet —
Ich
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