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Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.

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Frauenstimmrecht.
keineswegs bloss in den allerengsten Familienverhältnissen
der Fall. Die höchste Vollkommenheit, deren die Frauen fähig
sind, liegt gar nicht, wie man es gewöhnlich annimmt, in dem
Talent zur Liebe, sondern in der Fähigkeit zu der eigentlich
noch viel idealeren Freundschaft.1) Als Freunde sind sie
unvergleichlich in jedem Lebensalter, von der kleinen Enkelin
bis zur betagten Grossmutter; bessere Freunde findet man
nirgends, während sie allerdings in der völligen Isolirtheit leicht
hart und unliebenswürdig werden. Ihre Bestimmung, wie schon
die älteste Urkunde der Menschheit es andeutet, ist es auch,
Freunde zu sein,2) wo sie über das hinausstreben, oder unter
dieser ehrenhaften Stellung gehalten werden, verkümmern
sie, oder arten aus. Die Fehler der Frauen sind, nach einer

1) Jede gute Ehe sogar löst sich in den älteren Lebensjahren in
eine solche Freundschaft auf; wo dies nicht der Fall ist (weil zur
Freundschaft mehr gehört, als zur Liebe) in eine anständige Gleich-
gültigkeit.
2) Darüber findet sich in einer israelitischen Auslegung des
Pentateuchs, die oft die unserigen an Scharfsinn weit übertrifft,
folgende Stelle zu 1. Mos. 2, 18, die bisher den Augen der Frauenrechts-
freunde entgangen zu sein scheint: "Es heisst nicht (im hebräischen
Urtext): Es ist nicht gut für den Menschen, dass er allein sei, son-
dern: Solange er allein steht, ist es überhaupt noch nicht gut: das
Ziel der Vollkommenheit, das die Erdenwelt durch ihn erreichen
soll, wird nicht vollkommen erreicht, solange er allein steht. Die
Vollendung des Guten war nicht der Mann, sondern das Weib und
ward erst durch das Weib dem Menschen und der Welt zugebracht....
Auch nicht die leiseste Andeutung auf eine geschlechtliche Beziehung
ist darin enthalten, nur in das Gebiet des Wirkens des Mannes
wird das Weib gesetzt. Und ebensowenig spricht sich eine Unter-
ordnung aus, vielmehr ist damit eine völlige Gleichheit und pari-
tätische Selbständigkeit ausgesprochen. Das Weib steht dem Manne
parallel, auf Einer Linie, zur Seite".
Allerdings aber wird auch eine Frau nur, was sie werden
kann, in der geistigen Gemeinschaft mit bedeutenden Männern.

Frauenstimmrecht.
keineswegs bloss in den allerengsten Familienverhältnissen
der Fall. Die höchste Vollkommenheit, deren die Frauen fähig
sind, liegt gar nicht, wie man es gewöhnlich annimmt, in dem
Talent zur Liebe, sondern in der Fähigkeit zu der eigentlich
noch viel idealeren Freundschaft.1) Als Freunde sind sie
unvergleichlich in jedem Lebensalter, von der kleinen Enkelin
bis zur betagten Grossmutter; bessere Freunde findet man
nirgends, während sie allerdings in der völligen Isolirtheit leicht
hart und unliebenswürdig werden. Ihre Bestimmung, wie schon
die älteste Urkunde der Menschheit es andeutet, ist es auch,
Freunde zu sein,2) wo sie über das hinausstreben, oder unter
dieser ehrenhaften Stellung gehalten werden, verkümmern
sie, oder arten aus. Die Fehler der Frauen sind, nach einer

1) Jede gute Ehe sogar löst sich in den älteren Lebensjahren in
eine solche Freundschaft auf; wo dies nicht der Fall ist (weil zur
Freundschaft mehr gehört, als zur Liebe) in eine anständige Gleich-
gültigkeit.
2) Darüber findet sich in einer israelitischen Auslegung des
Pentateuchs, die oft die unserigen an Scharfsinn weit übertrifft,
folgende Stelle zu 1. Mos. 2, 18, die bisher den Augen der Frauenrechts-
freunde entgangen zu sein scheint: «Es heisst nicht (im hebräischen
Urtext): Es ist nicht gut für den Menschen, dass er allein sei, son-
dern: Solange er allein steht, ist es überhaupt noch nicht gut: das
Ziel der Vollkommenheit, das die Erdenwelt durch ihn erreichen
soll, wird nicht vollkommen erreicht, solange er allein steht. Die
Vollendung des Guten war nicht der Mann, sondern das Weib und
ward erst durch das Weib dem Menschen und der Welt zugebracht….
Auch nicht die leiseste Andeutung auf eine geschlechtliche Beziehung
ist darin enthalten, nur in das Gebiet des Wirkens des Mannes
wird das Weib gesetzt. Und ebensowenig spricht sich eine Unter-
ordnung aus, vielmehr ist damit eine völlige Gleichheit und pari-
tätische Selbständigkeit ausgesprochen. Das Weib steht dem Manne
parallel, auf Einer Linie, zur Seite».
Allerdings aber wird auch eine Frau nur, was sie werden
kann, in der geistigen Gemeinschaft mit bedeutenden Männern.
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[294/0054] Frauenstimmrecht. keineswegs bloss in den allerengsten Familienverhältnissen der Fall. Die höchste Vollkommenheit, deren die Frauen fähig sind, liegt gar nicht, wie man es gewöhnlich annimmt, in dem Talent zur Liebe, sondern in der Fähigkeit zu der eigentlich noch viel idealeren Freundschaft. 1) Als Freunde sind sie unvergleichlich in jedem Lebensalter, von der kleinen Enkelin bis zur betagten Grossmutter; bessere Freunde findet man nirgends, während sie allerdings in der völligen Isolirtheit leicht hart und unliebenswürdig werden. Ihre Bestimmung, wie schon die älteste Urkunde der Menschheit es andeutet, ist es auch, Freunde zu sein, 2) wo sie über das hinausstreben, oder unter dieser ehrenhaften Stellung gehalten werden, verkümmern sie, oder arten aus. Die Fehler der Frauen sind, nach einer 1) Jede gute Ehe sogar löst sich in den älteren Lebensjahren in eine solche Freundschaft auf; wo dies nicht der Fall ist (weil zur Freundschaft mehr gehört, als zur Liebe) in eine anständige Gleich- gültigkeit. 2) Darüber findet sich in einer israelitischen Auslegung des Pentateuchs, die oft die unserigen an Scharfsinn weit übertrifft, folgende Stelle zu 1. Mos. 2, 18, die bisher den Augen der Frauenrechts- freunde entgangen zu sein scheint: «Es heisst nicht (im hebräischen Urtext): Es ist nicht gut für den Menschen, dass er allein sei, son- dern: Solange er allein steht, ist es überhaupt noch nicht gut: das Ziel der Vollkommenheit, das die Erdenwelt durch ihn erreichen soll, wird nicht vollkommen erreicht, solange er allein steht. Die Vollendung des Guten war nicht der Mann, sondern das Weib und ward erst durch das Weib dem Menschen und der Welt zugebracht…. Auch nicht die leiseste Andeutung auf eine geschlechtliche Beziehung ist darin enthalten, nur in das Gebiet des Wirkens des Mannes wird das Weib gesetzt. Und ebensowenig spricht sich eine Unter- ordnung aus, vielmehr ist damit eine völlige Gleichheit und pari- tätische Selbständigkeit ausgesprochen. Das Weib steht dem Manne parallel, auf Einer Linie, zur Seite». Allerdings aber wird auch eine Frau nur, was sie werden kann, in der geistigen Gemeinschaft mit bedeutenden Männern.

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Zitationshilfe: Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/54>, abgerufen am 24.11.2024.