Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.Frauenstimmrecht.
ob das allgemeine Frauenstimmrecht, namentlich also fürdie Parlamentswahlen, einzuführen sei; es ganz zu beseitigen, soweit es schon besteht, davon ist jetzt nicht mehr die Rede, während noch 1832, bei Anlass der ersten Reformbill, eine einzige alleinstehende Dame es in einer Petition an das Unterhaus begehrte und dasselbe darüber in Gelächter aus- brach. Am verbreitetsten ist in England die Meinung, dass die Frauen selber einstweilen eine Erweiterung des Stimmrechts nicht haben wollen, ein Standpunkt, den namentlich Bryce und Gladstone vertraten, und der in einem von 100 Damen der englischen Aristokratie bei dem letzten Anlasse ver- breiteten Aufruf seine theilweise Bestätigung fand. In Amerika (Boston) wurde daher, von dem gleichen Standpunkte aus- gehend, schon der Vorschlag gemacht, die Frauen selbst über diese Vorfrage abstimmen zu lassen. Man kann also im Ganzen annehmen, dass man in verlange. Gewähre man den Frauen aktives und passives Wahlrecht,
so folge logisch daraus die Berechtigung nur Besetzung jedes Amtes. Einzelne Frauen mögen ja allerdings für jedes Amt befähigt sein, gerade wie es Männer unter 21 Jahren gebe, die besser zur Er- füllung der Bürgerpflichten befähigt seien, als andere ältere. Aber die Ausnahme vermöge doch nimmer die allgemeine Regel umzustossen. Gladstone hegte keine Befürchtung, dass die Frauen den Machtbereich der Männer wesentlich beschränken würden: aber die Zartheit, die Reinheit und Feinheit, der Adel der weiblichen Natur, welche bisher die Quelle der Macht der Frauen bildeten, dürften verloren gehen. Der Umstand, dass man den Frauen den Besuch der Universitäten und die Ausübung verschiedener gelehrter Berufsarten geöffnet habe, möge den Bestrebungen, weiter nach dieser Richtung zu gehen, einen Schatten von Recht verleihen, aber es sei nur ein Schatten, und es wäre höchst bedenklich, die Frauen in den Wirrwarr männlicher Lebensthätigkeit zu stürzen. Frauenstimmrecht.
ob das allgemeine Frauenstimmrecht, namentlich also fürdie Parlamentswahlen, einzuführen sei; es ganz zu beseitigen, soweit es schon besteht, davon ist jetzt nicht mehr die Rede, während noch 1832, bei Anlass der ersten Reformbill, eine einzige alleinstehende Dame es in einer Petition an das Unterhaus begehrte und dasselbe darüber in Gelächter aus- brach. Am verbreitetsten ist in England die Meinung, dass die Frauen selber einstweilen eine Erweiterung des Stimmrechts nicht haben wollen, ein Standpunkt, den namentlich Bryce und Gladstone vertraten, und der in einem von 100 Damen der englischen Aristokratie bei dem letzten Anlasse ver- breiteten Aufruf seine theilweise Bestätigung fand. In Amerika (Boston) wurde daher, von dem gleichen Standpunkte aus- gehend, schon der Vorschlag gemacht, die Frauen selbst über diese Vorfrage abstimmen zu lassen. Man kann also im Ganzen annehmen, dass man in verlange. Gewähre man den Frauen aktives und passives Wahlrecht,
so folge logisch daraus die Berechtigung nur Besetzung jedes Amtes. Einzelne Frauen mögen ja allerdings für jedes Amt befähigt sein, gerade wie es Männer unter 21 Jahren gebe, die besser zur Er- füllung der Bürgerpflichten befähigt seien, als andere ältere. Aber die Ausnahme vermöge doch nimmer die allgemeine Regel umzustossen. Gladstone hegte keine Befürchtung, dass die Frauen den Machtbereich der Männer wesentlich beschränken würden: aber die Zartheit, die Reinheit und Feinheit, der Adel der weiblichen Natur, welche bisher die Quelle der Macht der Frauen bildeten, dürften verloren gehen. Der Umstand, dass man den Frauen den Besuch der Universitäten und die Ausübung verschiedener gelehrter Berufsarten geöffnet habe, möge den Bestrebungen, weiter nach dieser Richtung zu gehen, einen Schatten von Recht verleihen, aber es sei nur ein Schatten, und es wäre höchst bedenklich, die Frauen in den Wirrwarr männlicher Lebensthätigkeit zu stürzen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0039" n="279"/><fw place="top" type="header">Frauenstimmrecht.</fw> ob das <hi rendition="#g">allgemeine</hi> Frauenstimmrecht, namentlich also für<lb/> die Parlamentswahlen, einzuführen sei; es ganz zu beseitigen,<lb/> soweit es schon besteht, davon ist jetzt nicht mehr die Rede,<lb/> während noch 1832, bei Anlass der ersten Reformbill, eine<lb/> einzige alleinstehende Dame es in einer Petition an das<lb/> Unterhaus begehrte und dasselbe darüber in Gelächter aus-<lb/> brach. Am verbreitetsten ist in England die Meinung, dass die<lb/> Frauen selber einstweilen eine Erweiterung des Stimmrechts<lb/> nicht haben wollen, ein Standpunkt, den namentlich Bryce<lb/> und Gladstone vertraten, und der in einem von 100 Damen<lb/> der englischen <hi rendition="#g">Aristokratie</hi> bei dem letzten Anlasse ver-<lb/> breiteten Aufruf seine theilweise Bestätigung fand. In Amerika<lb/> (Boston) wurde daher, von dem gleichen Standpunkte aus-<lb/> gehend, schon der Vorschlag gemacht, die Frauen selbst über<lb/> diese Vorfrage abstimmen zu lassen.</p><lb/> <p>Man kann also im Ganzen annehmen, dass man in<lb/> England und Amerika das Frauenstimmrecht für eine Stärkung<lb/> der liberalen, oder radikalen Bestrebungen ansieht.</p><lb/> <note xml:id="ID10" prev="#ID09" place="foot" n="2)">verlange. Gewähre man den Frauen aktives und passives Wahlrecht,<lb/> so folge logisch daraus die Berechtigung nur Besetzung jedes Amtes.<lb/> Einzelne Frauen mögen ja allerdings für jedes Amt befähigt sein,<lb/> gerade wie es Männer unter 21 Jahren gebe, die besser zur Er-<lb/> füllung der Bürgerpflichten befähigt seien, als andere ältere.<lb/> Aber die Ausnahme vermöge doch nimmer die allgemeine Regel<lb/> umzustossen. Gladstone hegte keine Befürchtung, dass die Frauen<lb/> den Machtbereich der Männer wesentlich beschränken würden: aber<lb/> die Zartheit, die Reinheit und Feinheit, der Adel der weiblichen<lb/> Natur, welche bisher die Quelle der Macht der Frauen bildeten,<lb/> dürften verloren gehen. Der Umstand, dass man den Frauen den<lb/> Besuch der Universitäten und die Ausübung verschiedener gelehrter<lb/> Berufsarten geöffnet habe, möge den Bestrebungen, weiter nach<lb/> dieser Richtung zu gehen, einen Schatten von Recht verleihen, aber<lb/> es sei nur ein Schatten, und es wäre höchst bedenklich, die Frauen<lb/> in den Wirrwarr männlicher Lebensthätigkeit zu stürzen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [279/0039]
Frauenstimmrecht.
ob das allgemeine Frauenstimmrecht, namentlich also für
die Parlamentswahlen, einzuführen sei; es ganz zu beseitigen,
soweit es schon besteht, davon ist jetzt nicht mehr die Rede,
während noch 1832, bei Anlass der ersten Reformbill, eine
einzige alleinstehende Dame es in einer Petition an das
Unterhaus begehrte und dasselbe darüber in Gelächter aus-
brach. Am verbreitetsten ist in England die Meinung, dass die
Frauen selber einstweilen eine Erweiterung des Stimmrechts
nicht haben wollen, ein Standpunkt, den namentlich Bryce
und Gladstone vertraten, und der in einem von 100 Damen
der englischen Aristokratie bei dem letzten Anlasse ver-
breiteten Aufruf seine theilweise Bestätigung fand. In Amerika
(Boston) wurde daher, von dem gleichen Standpunkte aus-
gehend, schon der Vorschlag gemacht, die Frauen selbst über
diese Vorfrage abstimmen zu lassen.
Man kann also im Ganzen annehmen, dass man in
England und Amerika das Frauenstimmrecht für eine Stärkung
der liberalen, oder radikalen Bestrebungen ansieht.
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2) verlange. Gewähre man den Frauen aktives und passives Wahlrecht,
so folge logisch daraus die Berechtigung nur Besetzung jedes Amtes.
Einzelne Frauen mögen ja allerdings für jedes Amt befähigt sein,
gerade wie es Männer unter 21 Jahren gebe, die besser zur Er-
füllung der Bürgerpflichten befähigt seien, als andere ältere.
Aber die Ausnahme vermöge doch nimmer die allgemeine Regel
umzustossen. Gladstone hegte keine Befürchtung, dass die Frauen
den Machtbereich der Männer wesentlich beschränken würden: aber
die Zartheit, die Reinheit und Feinheit, der Adel der weiblichen
Natur, welche bisher die Quelle der Macht der Frauen bildeten,
dürften verloren gehen. Der Umstand, dass man den Frauen den
Besuch der Universitäten und die Ausübung verschiedener gelehrter
Berufsarten geöffnet habe, möge den Bestrebungen, weiter nach
dieser Richtung zu gehen, einen Schatten von Recht verleihen, aber
es sei nur ein Schatten, und es wäre höchst bedenklich, die Frauen
in den Wirrwarr männlicher Lebensthätigkeit zu stürzen.
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Zitationshilfe: | Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/39>, abgerufen am 16.07.2024. |