Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul; Kurz, Hermann: Einleitung. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. V–XXIV. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Wirkungen fähig sei, beweist unseres Erachtens gerade die Novelle, die im Gegensatz zum Roman den Eindruck eben so verdichtet, auf Einen Punkt sammelt und dadurch zur höchsten Gewalt zu steigern vermag, wie es der Ballade, dem Epos gegenüber, vergönnt ist, mit einem raschen Schlage uns das innerste Herz zu treffen. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, das Kapitel der Aesthetik über Roman und Novelle zu schreiben, so wenig wir mit den einleitenden Notizen eine Geschichte der deutschen Novellistik zu geben dachten. So viel aber muß doch zu vorläufiger Verständigung gesagt werden, daß wir allerdings den Unterschied beider Gattungen nicht in das Längenmaß setzen, wonach ein Roman eine mehrbändige Novelle, eine Novelle ein kleiner Roman wäre. Da lang und kurz relative Begriffe sind und man bekanntlich die simpelste Liebesgeschichte für den Liebhaber nicht lang genug ausspinnen, dagegen den Inhalt der Odyssee "zum Gebrauch des Dauphin" auf eine Quartseite bringen kann, so muß, wenn es sich um mehr als Namen handeln soll, schon im Thema, im Problem, im unentwickelten Keim etwas liegen, das mit Nothwendigkeit zu der einen oder andern Form hindrängt.

Und dies scheint, wenn man auf das Wesentliche steht, in Folgendem zu beruhen.

Wenn der Roman ein Kultur- und Gesellschaftsbild im Großen, ein Weltbild im Kleinen

Wirkungen fähig sei, beweist unseres Erachtens gerade die Novelle, die im Gegensatz zum Roman den Eindruck eben so verdichtet, auf Einen Punkt sammelt und dadurch zur höchsten Gewalt zu steigern vermag, wie es der Ballade, dem Epos gegenüber, vergönnt ist, mit einem raschen Schlage uns das innerste Herz zu treffen. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, das Kapitel der Aesthetik über Roman und Novelle zu schreiben, so wenig wir mit den einleitenden Notizen eine Geschichte der deutschen Novellistik zu geben dachten. So viel aber muß doch zu vorläufiger Verständigung gesagt werden, daß wir allerdings den Unterschied beider Gattungen nicht in das Längenmaß setzen, wonach ein Roman eine mehrbändige Novelle, eine Novelle ein kleiner Roman wäre. Da lang und kurz relative Begriffe sind und man bekanntlich die simpelste Liebesgeschichte für den Liebhaber nicht lang genug ausspinnen, dagegen den Inhalt der Odyssee „zum Gebrauch des Dauphin“ auf eine Quartseite bringen kann, so muß, wenn es sich um mehr als Namen handeln soll, schon im Thema, im Problem, im unentwickelten Keim etwas liegen, das mit Nothwendigkeit zu der einen oder andern Form hindrängt.

Und dies scheint, wenn man auf das Wesentliche steht, in Folgendem zu beruhen.

Wenn der Roman ein Kultur- und Gesellschaftsbild im Großen, ein Weltbild im Kleinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0017" n="XVII"/>
Wirkungen fähig sei, beweist unseres                Erachtens gerade die Novelle, die im Gegensatz zum Roman den Eindruck eben so                verdichtet, auf Einen Punkt sammelt und dadurch zur höchsten Gewalt zu steigern                vermag, wie es der Ballade, dem Epos gegenüber, vergönnt ist, mit einem raschen                Schlage uns das innerste Herz zu treffen. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, das                Kapitel der Aesthetik über Roman und Novelle zu schreiben, so wenig wir mit den                einleitenden Notizen eine Geschichte der deutschen Novellistik zu geben dachten. So                viel aber muß doch zu vorläufiger Verständigung gesagt werden, daß wir allerdings den                Unterschied beider Gattungen nicht in das Längenmaß setzen, wonach ein Roman eine                mehrbändige Novelle, eine Novelle ein kleiner Roman wäre. Da lang und kurz relative                Begriffe sind und man bekanntlich die simpelste Liebesgeschichte für den Liebhaber                nicht lang genug ausspinnen, dagegen den Inhalt der Odyssee &#x201E;zum Gebrauch des                Dauphin&#x201C; auf eine Quartseite bringen kann, so muß, wenn es sich um mehr als Namen                handeln soll, schon im Thema, im Problem, im unentwickelten Keim etwas liegen, das                mit Nothwendigkeit zu der einen oder andern Form hindrängt.</p>
        <p>Und dies scheint, wenn man auf das Wesentliche steht, in Folgendem zu beruhen.</p>
        <p>Wenn der Roman ein Kultur- und Gesellschaftsbild im Großen, ein Weltbild im Kleinen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XVII/0017] Wirkungen fähig sei, beweist unseres Erachtens gerade die Novelle, die im Gegensatz zum Roman den Eindruck eben so verdichtet, auf Einen Punkt sammelt und dadurch zur höchsten Gewalt zu steigern vermag, wie es der Ballade, dem Epos gegenüber, vergönnt ist, mit einem raschen Schlage uns das innerste Herz zu treffen. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, das Kapitel der Aesthetik über Roman und Novelle zu schreiben, so wenig wir mit den einleitenden Notizen eine Geschichte der deutschen Novellistik zu geben dachten. So viel aber muß doch zu vorläufiger Verständigung gesagt werden, daß wir allerdings den Unterschied beider Gattungen nicht in das Längenmaß setzen, wonach ein Roman eine mehrbändige Novelle, eine Novelle ein kleiner Roman wäre. Da lang und kurz relative Begriffe sind und man bekanntlich die simpelste Liebesgeschichte für den Liebhaber nicht lang genug ausspinnen, dagegen den Inhalt der Odyssee „zum Gebrauch des Dauphin“ auf eine Quartseite bringen kann, so muß, wenn es sich um mehr als Namen handeln soll, schon im Thema, im Problem, im unentwickelten Keim etwas liegen, das mit Nothwendigkeit zu der einen oder andern Form hindrängt. Und dies scheint, wenn man auf das Wesentliche steht, in Folgendem zu beruhen. Wenn der Roman ein Kultur- und Gesellschaftsbild im Großen, ein Weltbild im Kleinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heysekurz_einleitung_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heysekurz_einleitung_1871/17
Zitationshilfe: Heyse, Paul; Kurz, Hermann: Einleitung. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. V–XXIV. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. XVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heysekurz_einleitung_1871/17>, abgerufen am 21.11.2024.