Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.durch den Sinn, sie rief seinen Namen, als hätte sie ihm noch etwas mit auf den Weg zu geben; dann fiel ihr Blick auf das Krucifix über dem Bett, sie stand still, wie plötzlich vor einer drohenden Gefahr zurückbebend, schüttelte traurig den Kopf und ging mit müden Schritten ans Fenster, um durch die Nacht zu spähen, ob sie seinen Weg verfolgen könnte. Ins Kloster! sprach sie vor sich hin. Barmherziger Gott, dein Wille geschehe! Draußen unter der Hausthür im Dunkeln stand die Rosine, die vorhin aus der Kammer geschlichen war. Andree, sagte sie, als der Bursch sich ihr näherte, du bist ja ohne Hut und in der Saltnerjacke. Ich habe dir ein Gewand von meinem Bruder geholt und einen alten Hut von ihm. Er ist in Innsbruck und braucht's nimmer. Der Jüngling griff hastig nach der Lodenjoppe und vertauschte sein Lederwamms dagegen. Ich dank' dir, Rosel, sagte er. Auch du bist gut, du bist wie die Tante. Denk fein an mich, wenn ich fort bin. Die Sachen da schick' ich bald einmal zurück. Das Mädchen schwieg, bis sie ihre ausbrechenden Thränen wieder bezwungen hatte. Weiß es die Moidi? sagte sie endlich. Nein. Du kannst es ihr sagen, Rosel. Grüß sie noch ein. letztes Mal und dann -- gute Nacht für immer, Rosel! Und er schritt, ihre zitternde Hand flüchtig be- durch den Sinn, sie rief seinen Namen, als hätte sie ihm noch etwas mit auf den Weg zu geben; dann fiel ihr Blick auf das Krucifix über dem Bett, sie stand still, wie plötzlich vor einer drohenden Gefahr zurückbebend, schüttelte traurig den Kopf und ging mit müden Schritten ans Fenster, um durch die Nacht zu spähen, ob sie seinen Weg verfolgen könnte. Ins Kloster! sprach sie vor sich hin. Barmherziger Gott, dein Wille geschehe! Draußen unter der Hausthür im Dunkeln stand die Rosine, die vorhin aus der Kammer geschlichen war. Andree, sagte sie, als der Bursch sich ihr näherte, du bist ja ohne Hut und in der Saltnerjacke. Ich habe dir ein Gewand von meinem Bruder geholt und einen alten Hut von ihm. Er ist in Innsbruck und braucht's nimmer. Der Jüngling griff hastig nach der Lodenjoppe und vertauschte sein Lederwamms dagegen. Ich dank' dir, Rosel, sagte er. Auch du bist gut, du bist wie die Tante. Denk fein an mich, wenn ich fort bin. Die Sachen da schick' ich bald einmal zurück. Das Mädchen schwieg, bis sie ihre ausbrechenden Thränen wieder bezwungen hatte. Weiß es die Moidi? sagte sie endlich. Nein. Du kannst es ihr sagen, Rosel. Grüß sie noch ein. letztes Mal und dann — gute Nacht für immer, Rosel! Und er schritt, ihre zitternde Hand flüchtig be- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0080"/> durch den Sinn, sie rief seinen Namen, als hätte sie ihm noch etwas mit auf den Weg zu geben; dann fiel ihr Blick auf das Krucifix über dem Bett, sie stand still, wie plötzlich vor einer drohenden Gefahr zurückbebend, schüttelte traurig den Kopf und ging mit müden Schritten ans Fenster, um durch die Nacht zu spähen, ob sie seinen Weg verfolgen könnte. Ins Kloster! sprach sie vor sich hin. Barmherziger Gott, dein Wille geschehe!</p><lb/> <p>Draußen unter der Hausthür im Dunkeln stand die Rosine, die vorhin aus der Kammer geschlichen war. Andree, sagte sie, als der Bursch sich ihr näherte, du bist ja ohne Hut und in der Saltnerjacke. Ich habe dir ein Gewand von meinem Bruder geholt und einen alten Hut von ihm. Er ist in Innsbruck und braucht's nimmer.</p><lb/> <p>Der Jüngling griff hastig nach der Lodenjoppe und vertauschte sein Lederwamms dagegen. Ich dank' dir, Rosel, sagte er. Auch du bist gut, du bist wie die Tante. Denk fein an mich, wenn ich fort bin. Die Sachen da schick' ich bald einmal zurück.</p><lb/> <p>Das Mädchen schwieg, bis sie ihre ausbrechenden Thränen wieder bezwungen hatte. Weiß es die Moidi? sagte sie endlich.</p><lb/> <p>Nein. Du kannst es ihr sagen, Rosel. Grüß sie noch ein. letztes Mal und dann — gute Nacht für immer, Rosel!</p><lb/> <p>Und er schritt, ihre zitternde Hand flüchtig be-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
durch den Sinn, sie rief seinen Namen, als hätte sie ihm noch etwas mit auf den Weg zu geben; dann fiel ihr Blick auf das Krucifix über dem Bett, sie stand still, wie plötzlich vor einer drohenden Gefahr zurückbebend, schüttelte traurig den Kopf und ging mit müden Schritten ans Fenster, um durch die Nacht zu spähen, ob sie seinen Weg verfolgen könnte. Ins Kloster! sprach sie vor sich hin. Barmherziger Gott, dein Wille geschehe!
Draußen unter der Hausthür im Dunkeln stand die Rosine, die vorhin aus der Kammer geschlichen war. Andree, sagte sie, als der Bursch sich ihr näherte, du bist ja ohne Hut und in der Saltnerjacke. Ich habe dir ein Gewand von meinem Bruder geholt und einen alten Hut von ihm. Er ist in Innsbruck und braucht's nimmer.
Der Jüngling griff hastig nach der Lodenjoppe und vertauschte sein Lederwamms dagegen. Ich dank' dir, Rosel, sagte er. Auch du bist gut, du bist wie die Tante. Denk fein an mich, wenn ich fort bin. Die Sachen da schick' ich bald einmal zurück.
Das Mädchen schwieg, bis sie ihre ausbrechenden Thränen wieder bezwungen hatte. Weiß es die Moidi? sagte sie endlich.
Nein. Du kannst es ihr sagen, Rosel. Grüß sie noch ein. letztes Mal und dann — gute Nacht für immer, Rosel!
Und er schritt, ihre zitternde Hand flüchtig be-
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/80>, abgerufen am 16.02.2025. |