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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Tag und Nacht, ohne Ablösung, ohne Sonntagsruhe und Kirchgang, um einen mäßigen Lohn, durchstreifen diese "lebendigen Vogelscheuchen" jeder das ihm zugewiesene Revier, von der Mitte des Juli, wo die ersten Beeren süß werden, bis die letzte Traube in die Kelter gewandert ist. Ihr saurer Dienst in Hitze und Nässe, obdachlos bis auf den kümmerlichen Schutz ihres Maisstroh-Schuppens, ist dennoch ein Ehrenamt, zu dem nur die rechtschaffensten Bursche ausersehen werden. Auch haben die gelinden sternklaren Nächte in der freien Höhe, während in den Häusern die Tagesschwüle kaum je verdampft, ihren Reiz, und die Besitzer der Weingüter lassen sich's angelegen sein, die Wächter mit Wein und Speisen reichlich zu versorgen, um sie bei Kräften und guter Laune zu erhalten.

Es schien jedoch dieses Mittel bei dem finstern Burschen, dem wir uns genähert haben, nicht anzuschlagen. Er hatte den Krug mit rothem Wein, das Brod und die großen Schnitte geräucherten Fleisches, die ihm eben erst zur Mittagskost ein kleiner Knabe heraufgeschleppt hatte, unberührt neben sich stehen auf dem platten Stein, der seinen Tisch vorstellte. Eine sehr kleine geschnitzte Pfeife mit silbernem Kettchen war ihm schon lange ausgegangen, und trübsinnig verbiß er die Zähne in das weiche Holz. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein, der Bart kraus'te sich leicht um Kinn und Wangen, die scharfen Züge des Gesichts deuteten auf frühe Leidenschaften; die Stirn

Tag und Nacht, ohne Ablösung, ohne Sonntagsruhe und Kirchgang, um einen mäßigen Lohn, durchstreifen diese „lebendigen Vogelscheuchen“ jeder das ihm zugewiesene Revier, von der Mitte des Juli, wo die ersten Beeren süß werden, bis die letzte Traube in die Kelter gewandert ist. Ihr saurer Dienst in Hitze und Nässe, obdachlos bis auf den kümmerlichen Schutz ihres Maisstroh-Schuppens, ist dennoch ein Ehrenamt, zu dem nur die rechtschaffensten Bursche ausersehen werden. Auch haben die gelinden sternklaren Nächte in der freien Höhe, während in den Häusern die Tagesschwüle kaum je verdampft, ihren Reiz, und die Besitzer der Weingüter lassen sich's angelegen sein, die Wächter mit Wein und Speisen reichlich zu versorgen, um sie bei Kräften und guter Laune zu erhalten.

Es schien jedoch dieses Mittel bei dem finstern Burschen, dem wir uns genähert haben, nicht anzuschlagen. Er hatte den Krug mit rothem Wein, das Brod und die großen Schnitte geräucherten Fleisches, die ihm eben erst zur Mittagskost ein kleiner Knabe heraufgeschleppt hatte, unberührt neben sich stehen auf dem platten Stein, der seinen Tisch vorstellte. Eine sehr kleine geschnitzte Pfeife mit silbernem Kettchen war ihm schon lange ausgegangen, und trübsinnig verbiß er die Zähne in das weiche Holz. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein, der Bart kraus'te sich leicht um Kinn und Wangen, die scharfen Züge des Gesichts deuteten auf frühe Leidenschaften; die Stirn

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[0008] Tag und Nacht, ohne Ablösung, ohne Sonntagsruhe und Kirchgang, um einen mäßigen Lohn, durchstreifen diese „lebendigen Vogelscheuchen“ jeder das ihm zugewiesene Revier, von der Mitte des Juli, wo die ersten Beeren süß werden, bis die letzte Traube in die Kelter gewandert ist. Ihr saurer Dienst in Hitze und Nässe, obdachlos bis auf den kümmerlichen Schutz ihres Maisstroh-Schuppens, ist dennoch ein Ehrenamt, zu dem nur die rechtschaffensten Bursche ausersehen werden. Auch haben die gelinden sternklaren Nächte in der freien Höhe, während in den Häusern die Tagesschwüle kaum je verdampft, ihren Reiz, und die Besitzer der Weingüter lassen sich's angelegen sein, die Wächter mit Wein und Speisen reichlich zu versorgen, um sie bei Kräften und guter Laune zu erhalten. Es schien jedoch dieses Mittel bei dem finstern Burschen, dem wir uns genähert haben, nicht anzuschlagen. Er hatte den Krug mit rothem Wein, das Brod und die großen Schnitte geräucherten Fleisches, die ihm eben erst zur Mittagskost ein kleiner Knabe heraufgeschleppt hatte, unberührt neben sich stehen auf dem platten Stein, der seinen Tisch vorstellte. Eine sehr kleine geschnitzte Pfeife mit silbernem Kettchen war ihm schon lange ausgegangen, und trübsinnig verbiß er die Zähne in das weiche Holz. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein, der Bart kraus'te sich leicht um Kinn und Wangen, die scharfen Züge des Gesichts deuteten auf frühe Leidenschaften; die Stirn

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/8>, abgerufen am 21.11.2024.