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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Menschenfurcht kannte, dem alten Bauern zu begegnen -- unten horchten doch zwei klopfende Herzen auf feinen Tritt, eine schmale blasse Hand öffnete die Thür einer Kammer, die neben der Küche lag, und ein zartes, frühgealtertes Gesicht spähte dem Lichtschein entgegen, der über die enge Steintreppe herunterfiel. Die Tante Anna war aufgewacht, da sie das Mädchen am Herde hantieren hörte, und hatte sie zu sich hereingerufen. Er will Niemand sehn, als den hochwürdigen Herrn, hatte die Rosine gesagt. -- Mich wird er schon sehen müssen, war die leise, aber nachdrückliche Antwort gewesen. Und dann hatte sich die Tante mit Hülfe der Nichte in Eile angekleidet und, ohne weiter ein Wort zu sprechen, auf dem Lehnstuhl am Bett gewartet, bis der späte Gast die Stufen herabkäme. Sie hatten kein Licht in dem engen Gemach, als den schwachen Schein des Mondes, der durch die kleinen Scheiben hereindrang. Das Krucifix über dem Bett, der Betschemel in der Ecke, das saubere Geräth, das an den Wänden herumstand, Alles hatte eine wehmüthige Heimlichkeit, wie sie eine alte Jungfer um ihr Thun und Wesen zu verbreiten Pflegt, wenn sie mit allen Lebenshoffnungen abgeschlossen hat. Diese Kammer hatte manche Thränen fallen sehn und manches heiße Gebet flüstern hören. Und die Rosine sah auch jetzt, daß sich die stillen Lippen der Tante bewegten, und wagte nicht, ihre andächtigen Gedanken zu stören.

Da erklang droben der Schritt; die Betende stand

Menschenfurcht kannte, dem alten Bauern zu begegnen — unten horchten doch zwei klopfende Herzen auf feinen Tritt, eine schmale blasse Hand öffnete die Thür einer Kammer, die neben der Küche lag, und ein zartes, frühgealtertes Gesicht spähte dem Lichtschein entgegen, der über die enge Steintreppe herunterfiel. Die Tante Anna war aufgewacht, da sie das Mädchen am Herde hantieren hörte, und hatte sie zu sich hereingerufen. Er will Niemand sehn, als den hochwürdigen Herrn, hatte die Rosine gesagt. — Mich wird er schon sehen müssen, war die leise, aber nachdrückliche Antwort gewesen. Und dann hatte sich die Tante mit Hülfe der Nichte in Eile angekleidet und, ohne weiter ein Wort zu sprechen, auf dem Lehnstuhl am Bett gewartet, bis der späte Gast die Stufen herabkäme. Sie hatten kein Licht in dem engen Gemach, als den schwachen Schein des Mondes, der durch die kleinen Scheiben hereindrang. Das Krucifix über dem Bett, der Betschemel in der Ecke, das saubere Geräth, das an den Wänden herumstand, Alles hatte eine wehmüthige Heimlichkeit, wie sie eine alte Jungfer um ihr Thun und Wesen zu verbreiten Pflegt, wenn sie mit allen Lebenshoffnungen abgeschlossen hat. Diese Kammer hatte manche Thränen fallen sehn und manches heiße Gebet flüstern hören. Und die Rosine sah auch jetzt, daß sich die stillen Lippen der Tante bewegten, und wagte nicht, ihre andächtigen Gedanken zu stören.

Da erklang droben der Schritt; die Betende stand

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[0076] Menschenfurcht kannte, dem alten Bauern zu begegnen — unten horchten doch zwei klopfende Herzen auf feinen Tritt, eine schmale blasse Hand öffnete die Thür einer Kammer, die neben der Küche lag, und ein zartes, frühgealtertes Gesicht spähte dem Lichtschein entgegen, der über die enge Steintreppe herunterfiel. Die Tante Anna war aufgewacht, da sie das Mädchen am Herde hantieren hörte, und hatte sie zu sich hereingerufen. Er will Niemand sehn, als den hochwürdigen Herrn, hatte die Rosine gesagt. — Mich wird er schon sehen müssen, war die leise, aber nachdrückliche Antwort gewesen. Und dann hatte sich die Tante mit Hülfe der Nichte in Eile angekleidet und, ohne weiter ein Wort zu sprechen, auf dem Lehnstuhl am Bett gewartet, bis der späte Gast die Stufen herabkäme. Sie hatten kein Licht in dem engen Gemach, als den schwachen Schein des Mondes, der durch die kleinen Scheiben hereindrang. Das Krucifix über dem Bett, der Betschemel in der Ecke, das saubere Geräth, das an den Wänden herumstand, Alles hatte eine wehmüthige Heimlichkeit, wie sie eine alte Jungfer um ihr Thun und Wesen zu verbreiten Pflegt, wenn sie mit allen Lebenshoffnungen abgeschlossen hat. Diese Kammer hatte manche Thränen fallen sehn und manches heiße Gebet flüstern hören. Und die Rosine sah auch jetzt, daß sich die stillen Lippen der Tante bewegten, und wagte nicht, ihre andächtigen Gedanken zu stören. Da erklang droben der Schritt; die Betende stand

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/76>, abgerufen am 22.11.2024.