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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Welch ein rätselvolles Schicksal umgab diese Geschwister ? -- Wir müssen, um es aufzuhellen, um viele Jahre zurück, in eine Zeit, da die Mutter, die mit so seltsamer Feindschaft zwischen ihnen stand, nicht viel älter war, als das blonde Kind, das dort oben unter den Reben schläft, freilich in allem Uebrigen ihr volles Widerspiel. Die Großeltern der blonden Moidi besaßen droben auf dem Küchelberg ein schlichtes Bauernhaus, das aber schön nach allen Seiten in die Thäler hinunter sah, links ins Passeier, rechts ins Bintschgau hinein, gradeaus über die Stadt Meran weg in die breite Niederung der Etsch bis zu den Bozner Bergen. Der alte Ingram hatte das Anwesen schon von Vorvätern ererbt, und die liebliche Lage war ihm freilich als Zugabe werth, mehr aber die ausgedehnten Weingüter, die sich nach allen Seiten daranschlossen und ihm wohl zu Statten kamen, seine vielen Kinder zu ernähren. Von denen war die jüngste, Maria, oder nach dem Landesausdruck "Moidi", ein wahres Sorgenkind, während von den übrigen im Guten oder Schlimmen nichts Sonderliches zu berichten wäre. Diese Jüngste jedoch, nicht allein, daß sie die häßlichste war und eher einer Alraune, als einem Meraner Landkinde ähnlich, die meist sauber und wohlgebildet heranwachsen, betrug sich zudem von klein auf so ungehörig, daß sie viel Schläge und wenig gute Worte von der Mutter erlebte, und auch der Vater, der ein mäßiger und am Hergebrachten hängender Mann war, sich mehr und mehr dieser Jüng-

Welch ein rätselvolles Schicksal umgab diese Geschwister ? — Wir müssen, um es aufzuhellen, um viele Jahre zurück, in eine Zeit, da die Mutter, die mit so seltsamer Feindschaft zwischen ihnen stand, nicht viel älter war, als das blonde Kind, das dort oben unter den Reben schläft, freilich in allem Uebrigen ihr volles Widerspiel. Die Großeltern der blonden Moidi besaßen droben auf dem Küchelberg ein schlichtes Bauernhaus, das aber schön nach allen Seiten in die Thäler hinunter sah, links ins Passeier, rechts ins Bintschgau hinein, gradeaus über die Stadt Meran weg in die breite Niederung der Etsch bis zu den Bozner Bergen. Der alte Ingram hatte das Anwesen schon von Vorvätern ererbt, und die liebliche Lage war ihm freilich als Zugabe werth, mehr aber die ausgedehnten Weingüter, die sich nach allen Seiten daranschlossen und ihm wohl zu Statten kamen, seine vielen Kinder zu ernähren. Von denen war die jüngste, Maria, oder nach dem Landesausdruck „Moidi“, ein wahres Sorgenkind, während von den übrigen im Guten oder Schlimmen nichts Sonderliches zu berichten wäre. Diese Jüngste jedoch, nicht allein, daß sie die häßlichste war und eher einer Alraune, als einem Meraner Landkinde ähnlich, die meist sauber und wohlgebildet heranwachsen, betrug sich zudem von klein auf so ungehörig, daß sie viel Schläge und wenig gute Worte von der Mutter erlebte, und auch der Vater, der ein mäßiger und am Hergebrachten hängender Mann war, sich mehr und mehr dieser Jüng-

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[0028] Welch ein rätselvolles Schicksal umgab diese Geschwister ? — Wir müssen, um es aufzuhellen, um viele Jahre zurück, in eine Zeit, da die Mutter, die mit so seltsamer Feindschaft zwischen ihnen stand, nicht viel älter war, als das blonde Kind, das dort oben unter den Reben schläft, freilich in allem Uebrigen ihr volles Widerspiel. Die Großeltern der blonden Moidi besaßen droben auf dem Küchelberg ein schlichtes Bauernhaus, das aber schön nach allen Seiten in die Thäler hinunter sah, links ins Passeier, rechts ins Bintschgau hinein, gradeaus über die Stadt Meran weg in die breite Niederung der Etsch bis zu den Bozner Bergen. Der alte Ingram hatte das Anwesen schon von Vorvätern ererbt, und die liebliche Lage war ihm freilich als Zugabe werth, mehr aber die ausgedehnten Weingüter, die sich nach allen Seiten daranschlossen und ihm wohl zu Statten kamen, seine vielen Kinder zu ernähren. Von denen war die jüngste, Maria, oder nach dem Landesausdruck „Moidi“, ein wahres Sorgenkind, während von den übrigen im Guten oder Schlimmen nichts Sonderliches zu berichten wäre. Diese Jüngste jedoch, nicht allein, daß sie die häßlichste war und eher einer Alraune, als einem Meraner Landkinde ähnlich, die meist sauber und wohlgebildet heranwachsen, betrug sich zudem von klein auf so ungehörig, daß sie viel Schläge und wenig gute Worte von der Mutter erlebte, und auch der Vater, der ein mäßiger und am Hergebrachten hängender Mann war, sich mehr und mehr dieser Jüng-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/28>, abgerufen am 23.11.2024.