Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.bös Wort auf dich sagen, wenn sie mich nicht zur Thür hinaus treiben will, das weiß sie wohl. Was hast also, daß du alleweil den Kopf hängst und mir selber so finstre Augen machst, als wär' ich nicht deine liebe Schwester sondern eine Feindin? Und wenn gar ein andrer Bub mir ein Wörtel sagt, so ist gleich Feuer im Dach. Sag, möchtest du eine Nonne aus mir machen, oder daß ich bei der Mutter ihr Lebtag die Hennendirn abgeben und eine steinalte Jungfer werden soll? Sie war ihm während dieser Worte zutraulich nahe gerückt und hatte den Arm leicht um seinen Nacken gelegt. Aber wie wenn ein Gespenst ihn angefaßt hätte, fuhr er auf und schüttelte ihre Liebkosung ab. Seine Brust arbeitete schwer. Laß mich, keuchte er heftig hervor, rühr mich nicht an, frag mich nichts, geh fort von mir, so weit du kannst, und komm nie wieder! Er war aufgesprungen, als wollte er fliehen, aber er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Er mußte sie ansehen, wie sie, versteinert, im Grase kniete, die Hände im Schooß gefaltet, mit einem Blick, der ihm ins Herz schnitt. Die Augen schienen größer geworden, der halbgeöffnete Mund in einem schmerzlichen Aufschrei erstarrt, die feinen Nasenflügel bebten. Es war nicht das erste Mal, daß dieses Gesicht ihn an dem Kinde entsetzte. Ja zuweilen mitten in ihrem Lachen, das überhaupt oft kindisch klang, ward sie von plötzlichem Schrecken überfallen und für eine Zeitlang wie bös Wort auf dich sagen, wenn sie mich nicht zur Thür hinaus treiben will, das weiß sie wohl. Was hast also, daß du alleweil den Kopf hängst und mir selber so finstre Augen machst, als wär' ich nicht deine liebe Schwester sondern eine Feindin? Und wenn gar ein andrer Bub mir ein Wörtel sagt, so ist gleich Feuer im Dach. Sag, möchtest du eine Nonne aus mir machen, oder daß ich bei der Mutter ihr Lebtag die Hennendirn abgeben und eine steinalte Jungfer werden soll? Sie war ihm während dieser Worte zutraulich nahe gerückt und hatte den Arm leicht um seinen Nacken gelegt. Aber wie wenn ein Gespenst ihn angefaßt hätte, fuhr er auf und schüttelte ihre Liebkosung ab. Seine Brust arbeitete schwer. Laß mich, keuchte er heftig hervor, rühr mich nicht an, frag mich nichts, geh fort von mir, so weit du kannst, und komm nie wieder! Er war aufgesprungen, als wollte er fliehen, aber er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Er mußte sie ansehen, wie sie, versteinert, im Grase kniete, die Hände im Schooß gefaltet, mit einem Blick, der ihm ins Herz schnitt. Die Augen schienen größer geworden, der halbgeöffnete Mund in einem schmerzlichen Aufschrei erstarrt, die feinen Nasenflügel bebten. Es war nicht das erste Mal, daß dieses Gesicht ihn an dem Kinde entsetzte. Ja zuweilen mitten in ihrem Lachen, das überhaupt oft kindisch klang, ward sie von plötzlichem Schrecken überfallen und für eine Zeitlang wie <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0025"/> bös Wort auf dich sagen, wenn sie mich nicht zur Thür hinaus treiben will, das weiß sie wohl. Was hast also, daß du alleweil den Kopf hängst und mir selber so finstre Augen machst, als wär' ich nicht deine liebe Schwester sondern eine Feindin? Und wenn gar ein andrer Bub mir ein Wörtel sagt, so ist gleich Feuer im Dach. Sag, möchtest du eine Nonne aus mir machen, oder daß ich bei der Mutter ihr Lebtag die Hennendirn abgeben und eine steinalte Jungfer werden soll?</p><lb/> <p>Sie war ihm während dieser Worte zutraulich nahe gerückt und hatte den Arm leicht um seinen Nacken gelegt. Aber wie wenn ein Gespenst ihn angefaßt hätte, fuhr er auf und schüttelte ihre Liebkosung ab. Seine Brust arbeitete schwer. Laß mich, keuchte er heftig hervor, rühr mich nicht an, frag mich nichts, geh fort von mir, so weit du kannst, und komm nie wieder!</p><lb/> <p>Er war aufgesprungen, als wollte er fliehen, aber er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Er mußte sie ansehen, wie sie, versteinert, im Grase kniete, die Hände im Schooß gefaltet, mit einem Blick, der ihm ins Herz schnitt. Die Augen schienen größer geworden, der halbgeöffnete Mund in einem schmerzlichen Aufschrei erstarrt, die feinen Nasenflügel bebten. Es war nicht das erste Mal, daß dieses Gesicht ihn an dem Kinde entsetzte. Ja zuweilen mitten in ihrem Lachen, das überhaupt oft kindisch klang, ward sie von plötzlichem Schrecken überfallen und für eine Zeitlang wie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
bös Wort auf dich sagen, wenn sie mich nicht zur Thür hinaus treiben will, das weiß sie wohl. Was hast also, daß du alleweil den Kopf hängst und mir selber so finstre Augen machst, als wär' ich nicht deine liebe Schwester sondern eine Feindin? Und wenn gar ein andrer Bub mir ein Wörtel sagt, so ist gleich Feuer im Dach. Sag, möchtest du eine Nonne aus mir machen, oder daß ich bei der Mutter ihr Lebtag die Hennendirn abgeben und eine steinalte Jungfer werden soll?
Sie war ihm während dieser Worte zutraulich nahe gerückt und hatte den Arm leicht um seinen Nacken gelegt. Aber wie wenn ein Gespenst ihn angefaßt hätte, fuhr er auf und schüttelte ihre Liebkosung ab. Seine Brust arbeitete schwer. Laß mich, keuchte er heftig hervor, rühr mich nicht an, frag mich nichts, geh fort von mir, so weit du kannst, und komm nie wieder!
Er war aufgesprungen, als wollte er fliehen, aber er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Er mußte sie ansehen, wie sie, versteinert, im Grase kniete, die Hände im Schooß gefaltet, mit einem Blick, der ihm ins Herz schnitt. Die Augen schienen größer geworden, der halbgeöffnete Mund in einem schmerzlichen Aufschrei erstarrt, die feinen Nasenflügel bebten. Es war nicht das erste Mal, daß dieses Gesicht ihn an dem Kinde entsetzte. Ja zuweilen mitten in ihrem Lachen, das überhaupt oft kindisch klang, ward sie von plötzlichem Schrecken überfallen und für eine Zeitlang wie
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/25>, abgerufen am 16.02.2025. |